Fantasie und ein offenes Auge für die Poesie des Alltäglichen verbunden mit äusserst prägnanter, formaler Gestaltung charakterisieren das künstlerische Schaffen von David Bürkler. So verwandelt er unscheinbare gefundene Gegenstände ebenso wie solche des täglichen Gebrauchs, wie Tische und Hocker, aber auch ein schlichtes, gefaltetes Papier durch minimale Eingriffe und präzise Ergänzungen sowie durch Übersetzung in andere Materialien zu überraschenden Skulpturen und Objekten. David Bürklers über Jahrzehnte konsequent entwickeltes und eigenständiges Schaffen würdigt die St.Gallische Kulturstiftung mit dem Anerkennungspreis.
Vor kurzem war in der Galerie Adrian Bleisch in Arbon eine äusserst eindrückliche Ausstellung von David Bürkler zu sehen, die – und das war eigentlich eine Sensation – als Retrospektive konzipiert war und Werke aus allen Schaffensperioden zusammenführte. Eine Sensation deshalb, weil der eigenwillige Künstler bisher immer darauf bestanden hat, ausschliesslich neue Arbeiten zu zeigen. Auch solche – und immerhin fast ein Drittel aller Arbeiten – waren in der genannten Ausstellung zu sehen, und sie zeigen, dass David Bürklers Schaffensdrang ungebrochen ist und er aus einem unerschöpflichen Fundus an Werkideen schöpfen kann.
Werfen wir zunächst einen Blick auf seinen Werdegang. David Bürkler wurde 1936 in St.Gallen geboren. Nachdem sein Jugendtraum Naturforscher zu werden – er spricht z.B. davon, dass er unbekannte Geschöpfe am Meeresgrund oder Schnecken auf Bäumen erforschen wollte – aufgrund einer Herzerkrankung nicht erfüllbar war, absolvierte er eine Ausbildung zum Grafiker an der Kunstgewerbeschule in St.Gallen. Schon als Schüler hatte er, während die Klassenkameraden in der Turnstunde waren, gezeichnet, vielleicht wurde da ein erster Grundstein zu seiner künstlerischen Karriere gelegt. Während der Ausbildung entdeckt er die Welt der Kunst, sie führt ihn in neue Welten, die er fortan mit grosser Neugier und Offenheit erkundet. Charakteristisch ist von Beginn an sein intensives Interesse an den aktuellen Strömungen, die er durch Besuche von Ausstellungen im In- und Ausland (z.B. Paul Klee 1955 in St.Gallen, die Ausstellungen zu aktuellsten Entwicklungen aus Paris und New York von Arnold Rüdlinger in Bern und Basel oder Harald Szeemanns epochale «Wenn Attitüden Form werden» in der Kunsthalle Bern, 1969), sowie durch Lektüre und Begegnungen mit Künstlern und Künstlerinnen kennenlernt. Neue Musik wie die Zwölftonmusik, John Cage und Jazz, oder zeitgenössisches Theater, Literatur und Film fesseln ihn ebenso wie die ersten kinetischen Objekte von Jean Tinguely. In derselben Neugier mag auch seine Sammlertätigkeit wurzeln, die beispielsweise zu einer bemerkenswerten und bereits in Museen gezeigten Sammlung von Christbaumkugeln geführt hat. Seiner Kontaktfreudigkeit und seinem unentwegten Interesse an allem, was in der Kulturszene geschieht, verdankt sich auch sein langjähriges Engagement für Institutionen wie die Kellerbühne oder die visarte.ost (ehemals GSMBA).
Eine der ersten, für seinen Weg als Künstler einflussreichen Begegnungen war jene mit Diogo Graf, dem Pionier der ungegenständlichen Malerei in der Ostschweiz. Bürkler besucht ab 1955 bei Graf Mosaikkurse und bald entwickelt sich eine auf intensiven Diskussionen über Kunst basierende Freundschaft. Diese Jahre sind geprägt von der Suche nach einer eigenen Bildsprache. Experimentierfreudig erprobt Bürkler verschiedene Wege zwischen der geometrischen Abstraktion der Konkreten und der gestisch abstrakten Malerei des Informel. Nach Grafs Tod 1966 übernimmt Bürkler dessen Zeichen-Kurse. Als prägende Erfahrung nennt David aber auch einen Besuch bei Alberto Giacometti, wo den 24-jährigen die Pinselabdrücke des Künstlers an den Atelierwänden in ihren Bann ziehen, sowie – aus seiner beruflichen Erfahrung bei einer Bau-Entfeuchtungsfirma – die eigenartige Farbigkeit und die Strukturen an feuchten, von Schwämmen befallenen Mauern. Diese Eindrücke finden Eingang in seine Malerei der 60er Jahre, die von der Spannung zwischen rauen Oberflächenstrukturen und nur angedeuteten Formelementen lebt. Schon früh beginnt er geometrische, später kleine, ebenso amüsante wie poetische Collagen zu gestalten. Unter dem Eindruck von Robert Rauschenbergs «Combine Paintings» führt er die Collagen weiter zu dreidimensionalen Assemblagen aus gefundenen Objekten. Um 1975 macht er schliesslich den definitiven Schritt zur Dreidimensionalität, zu Skulptur und Installation, die seither im Zentrum seines Schaffens stehen.
Dass er sich auch hier nicht in eine bestimmte Richtung drängen lässt, zeigt die eigenwillige Wahl der Materialien und präzise Formensprache. Einen roten Faden legt, dass David Bürkler oft von bestehenden Objekten des Alltags ausgeht, diese teilweise im Original, teilweise in Nachbildung verwendet und zu etwas Neuem transformiert. Als Objekte finden insbesondere einfache Holztische und Hocker, oder auch Transportpaletten Eingang in sein Werk. Diese werden in andere Materialien und Formate umgewandelt, sei es dass er ein Tischbein durch eine genaue Nachbildung aus Karton ersetzt, sei es dass der einen Hocker in Eisen und in dreifacher Ausführung zu einem Turm übereinander stapelt, oder ihn, ebenfalls in Eisen, auf 1,8 Meter vergrössert und mit seitlich eingeschobenen Stahlplatten durchdringt. Mit den Eisenplastiken setzt Bürkler die Tradition der Schweizer Eisenplastiker in einer eigenen, sehr reduzierten Formensprache fort, die an die formale Grundlagenforschung der Minimal Art erinnert. Die Transformation von alltäglichen Dingen in ein beständiges, hartes, industrielles Material, erweitert der Künstler, indem er es in Zwiesprache mit anderen Materialien bringt, z.B. mit Stein, insbesondere aber mit Farbe, die der natürlichen Patina der verwendeten Materialien einen leuchtenden Kontrapunkt setzt.
In den 1980er Jahren kommt eine Werkgruppe dazu, die neuere Tendenzen wie Earth und Land Art ebenso reflektiert wie solche aus der Postminimal Art oder Arte Povera. Zu erwähnen ist hier jene Wanne mit Neonring auf feuchtem Ton, der langsam trocknet und sich zu einer verwitterten Struktur verwandelt. Oder der poetische Tisch, der in einem Begonienbeet steht und auf dem ein leuchtend grünes Rasenfeld spriesst – und langsam verwelkt. Die weitaus einflussreichste Inspiration jedoch findet Bürkler in Verpackungen aller Art. Als Grafiker war er unter anderem auch im Verpackungsdesign tätig und dabei entdeckte er die skulpturalen und räumlichen Dimensionen von Schachteln und Verpackungen aller Art. Das Thema «Gegenstand und Umhüllung» oder «Hülle und Hohlraum» hat er in verschiedenster Weise gestaltet. Die Schachtel wird zum modellhaften, architektonischen Raum und trägt die Idee von begehbaren Skulpturen in sich, sei dies im realen physischen, sei es im geistigen Sinne. Sich öffnende und schliessende Hüllen und Umhüllungen spielen mit dem Aspekt des Wandelbaren und der Bewegung, sowohl des Objektes / Raumes selbst wie auch des Betrachters und seiner Vorstellungskraft. In einer seiner neueren Arbeiten umhüllt er zwei Holzhocker mit Spiegeln, die sich fächerartig nach aussen öffnen und den Umraum vielfach gebrochen widerspiegeln. Hier wird das Thema des Umhüllens zugleich in jenes des Auffaltens weitergeführt. Dieses Motiv des Auf- und Zufaltens, der Konzentration und der Ausweitung räumlicher Situationen ist ein weiterer zentraler Aspekt in Bürklers Schaffen.
Mit offenem Auge nimmt David Bürkler bis heute in unscheinbarsten Fundstücken inspirierende formale Aspekte wahr und führt sie in seinen Schaffensprozess ein. So kann ihn ein schlichtes Stück Papier zu einer Arbeit anregen, in der grün lackiertes Metallblech federleicht und biegsam wie Papier vor der Wand zu schweben scheint. Mit seinen präzisen, aufs Wesentliche reduzierten Skulpturen und seinen Transformationen des Alltäglichen lenkt David Bürkler unseren Blick auf Unscheinbares und Poetisches und öffnet uns immer wieder neue, unerahnte Wahrnehmungsräume.