St. Gallische Kulturstiftung

2018, Winter

ZündWerk, Daniela Villiger & Regula Pöhl

  • aus Rapperswil-Jona
  • Förderpreis über Fr. 15000.– für die Region See-Gaster
  • Sparte: bildende Künstlerinnen

Urkunde

ZündWerk agiert zwischen Kunst und sozialen Systemen. Regula Pöhl und Daniela Villiger bespielen seit 2003 in radikaler und faszinierend mutiger Kunstform den Alltag im öffentlichen Raum. Als aktive Teilnehmende ihrer Aktionen erfahren wir Bekanntes in unbekanntem Ausmass. Ihr Name ist Programm: Sie zünden einen Prozess an, der unsere Wahrnehmungsmuster verschiebt. Werk weist auf ihre einzigartige Vorgehensweise hin: Nach langen Denkprozessen treten sie präzise und aufs Wesentliche reduziert mit ihrer Denk-Handlung hinaus. Ihre flüchtigen Aktionen dauern so lange, wie wir dabei sind, vom Künstlerduo fein gelenkt und gut aufgehoben zwischen Irritation und Normalität. Zum Erkennen gehört ein Wagnis. Mag uns ihre «Ästhetik des Alltags» stets mit dem Ungewissen konfrontieren und zeigen, dass unsere Wahrnehmungen richtig sind, weil wir sie selber generieren.

 

Laudatio von Barbara Schlumpf, Vizepräsidentin

Liebe Gäste,

Sie kamen hierher, um die Preisträgerinnen zu ehren – und schwupps sind Sie involviert in eine Aktion. Mit ähnlicher Hintergründigkeit hielt einst auch Till Eulenspiegel die Leute auf Trab. Diesen schlauen Vogel, der oft mit Spiegeln auftrat, nehme ich heute mit ins Boot meiner Lobrede – mit seinen Geschichten kreise ich um die Kunst von ZündWerk.

 

Das Aufbauen dieser Aktion dauert. Luft und Zeit stehen still, derweilen draussen die Zeit davonläuft. Das ist man sich nicht mehr so gewöhnt: Die Weile, bis und ob der Schwebezustand gelingt, muss man aushalten. Sie, verehrte Gäste, haben das mitgemacht und aktiv teilgenommen; heute wohl in sanfter Version, beobachtend und sitzend. ZündWerk fordert oft mehr mit interaktiver Kunst: Das Publikum spielt die aktive Rolle: In unbestimmtem, aber selbst-bestimmtem Ausmass. Immer integriert ins Ergebnis der Aktion. – ZündWerk-Erprobte unter Ihnen kennen das seit 15 Jahren: Die Gedanken, Gefühle oder Erkenntnisse, die mit dieser Aktion angezündet werden, sind Ihre eigenen.

Diese Wirkungskraft nutzte auch der Eulenspiegel: Die Marktleute, die er spiegelte, mussten im Spiegelbild – wohl oder übel – etwas Eigenes erkennen.

 

«Aktion Schwebezustand Nummer 12-18» heisst der Titel. Auf heute datiert, neu für heute gemacht. Nichts Aufgewärmtes. Eine stille Aktion – wie viele von ZündWerk. Schwebend im Raum. Der magischen Präsenz dieser Wolken kann man sich nicht erwehren. Zustand eines verlängerten Augenblicks: Explosion in Zeitlupe. Flüchtig? Ja. Und temporär. Das Helium ist mal erschöpft, ein endlicher Moment. Es passiert nur hier und jetzt, wenn wir darauf treffen, wo die Aktion mit uns zusammenkommt. Und dann nie mehr.

 

Liebe Preisträgerinnen, Ihr habt einen schlauen Instinkt, wie ihr mit Euren philosophisch hintergründigen Aktionen in unseren Alltag eingreift. Wie ihr uns abholt und uns einen Zugang vermittelt. Damit der Alltag, den wir doch so gut zu kennen meinen, mitspielt. Im Spagat zwischen Irritation und Normalität.

 

Schon eine der ersten Aktionen, die «Aktion 9-03 ein-gemachte Träume», brauchte keinen Büchsenöffner, um sie zu be-greifen: Am Bahnhof Rapperswil habt Ihr Einmachgläser verteilt und die Leute eingeladen zum Mitmachen, dass sie ihre eigenen Träume einfüllen. Ein Monat später kamen die Gläser voll zurück, alle haben was reingetan, eine Minilandschaft oder ein Symbol. Die Leute haben eine gestalterische Arbeit gemacht: 68 gesammelte und eingemachte Träume habt ihr auf dem Hauptplatz in 68 Einmachgläsern ausgestellt, konserviert, und das Flüchtige zwischenzeitlich festgehalten. Ihr habt mit den Leuten geredet, ihre Träume auf Karteikarten notiert und nach den Gläsern nummeriert. So konnte man fremde Träume nachlesen.

 

Die Aktion hat fasziniert: Alle Generationen waren vertreten. Von Jung bis Alt. Und alle haben nach einer Woche ihre Gläser wieder abgeholt. Und wahrscheinlich ihren eingeweckten Traum wieder frei gelassen. Typisch ZündWerk: Alles fliegt weiter. Puff wieder weg. Und entsorgt. – Dieses radikale Spiel mit der Flüchtigkeit hat einen Schalk.

 

Eure liebste Aktion? Es gibt solche, an denen ihr nicht so hängt, wie grad die mit den eingemachten Träumen, 2003, das sei so weit weg, sagt ihr. – Mich berührt sie nachhaltig. Stimmig und genial.

 

Ihr befasst euch mit unserer Ästhetik im Alltag: «Jede sinnliche Wahrnehmung ist ein Erkennen» – euer zentrales Anliegen. Und «zum Erkennen gehört das sinnliche Hinschauen», und was sich dabei bewegt und regt.

 

Für Eure Arbeit markiert ihr Orte und einfache Dinge im Alltag. Dann greift Ihr mit minimsten Mitteln ein. Reagiert mit wenig Material extrem haushälterisch auf vorhandene Situationen. Ihr improvisiert mit dem, was da ist, und mit der Zeit, die da ist. – Das ist immer eine Reise ins Ungewisse, lange unklar. Mit knappen Titeln erfasst ihr den Kern der Arbeit, nummeriert mit dem Erscheinungs-Datum: In der «Aktion 5-05 VerbindungsBlicke» habt ihr eine bevorstehende Fusion thematisiert: Vor dem Rapperswiler Rathaus konnte jedermann mit eurem installierten Fernrohr zum Stadthaus Jona schauen. Was für eine Fernsicht! Wer diese Distanz und den Blick über die historische Stadt-Grenze sinnlich erfassen konnte, hat eine Meinung generiert. Eine Besucherin hat das auf den Punkt gebracht: «ZündWerk öffnen die Augen dafür, dass wir alle eigenwillig wahr-nehmen und dass meine Wahr-Nehmungen in jedem Fall richtig sind, einzig darum, weil sie meine eigenen sind.» Klar, wir kochen mit: Eure Interventionen bieten keinen Take-a-Way-Service, kein konsumfertiges Menu.

 

Ihr startet mit einer Intention, es kann ein Wort sein, mit dem ihr euch monatelang beschäftigt. Mit dessen Ursprung, Bedeutung… Wenn ihr dann hinaustretet, mit einer Aktion, ist eure Wortwahl klar und verdichtet. – ZündWerk behandelt die Sprache wie der Metzger das Filet: Das Fett kommt liebevoll laufend weg. Über den Ladentisch geht nur reduzierte Substanz. Auch Till Eulenspiegel nahm bildliche Redewendungen wörtlich und brauchte dies als List, um ans Ziel zu kommen. – Entgegen aller Missverständnisse war auch Eulenspiegel kein luftiger Hofnarr. Es war ihm bitterer Ernst mit seinen Aktionen. – Und wie der Eulenspiegel ist auch ZündWerk gekennzeichnet durch anarchische Unangepasstheit: ZündWerk deponiert kein Bild in einer Galerie, und nirgendwo klebt ein Verkaufspunkt. ZündWerk schafft einen Raum für die Interaktion, lädt ein und lässt der Zündung ihren Lauf. Im öffentlichen Raum haben die Besucher einen anderen Zugang zur Kunst als im Museum.

 

Beispiel dafür war die «Aktion 9-08 Selbstlaut» auf dem roten Platz in St.Gallen: 5 weisse kristalline Körper luden Passanten ein zum Einsteigen, drinnen still sitzen oder laut werden: Die fünf Raumkapseln waren via Schläuche kreuz und quer miteinander verbunden: Da konnte man hinein- oder aneinander vorbeireden, aus unbekannter Quelle eine Frage hören, oder ein Stimmen-Wirrwarr verursachen.

 

ZündWerks Merkmal heisst immer auch Begegnung. Ihr seid da und begleitet, was ihr angestupft habt. Wie der Eulenspiegel: Nachdem er eine Lunte gezündet hatte, stand er in den Torbogen – mit offenem Fluchtweg im Rücken – und schaute aufmerksam zu, was passierte, wenn sich das Feuerzünglein langsam seiner Zündschnur entlang frass und unter dem Marktstand explodierte, dem Ziel seiner Aktion.

 

Ihr habt zuvor feinsäuberlich ausgelotet, auf welche Teilnahme sich die Leute noch einlassen, dass ‚es‘ zündet, und ab welchem Level sie nicht darauf eintreten. Ihr reflektiert, wo die Grenze liegt, und wo es greift. Wie bei Till Eulenspiegel: stets eine Gratwanderung ins Unbekannte. Auch Till war ein Seiltänzer. Zum Erkennen gehört ein Wagnis.

 

Nach dem Diplom an der Hochschule für Kunst und Gestaltung in Zürich seid ihr als Kollektiv durchgestartet: Gleich mit einer lobenden Anerkennung der Ausbildungsstätte. «Dass wir zünden wollen, das war immer unsere Intention, das war immer klar», stellt ihr fest. Mit grosser Kenntnis über «die Kunst des Zusammenarbeitens» ringt ihr seither gemeinsam nach noch nicht Fassbarem. «Es» wächst im Kollektiv: Am Tisch. Eurem Atelier. Dem Zentrum eures Urknalls. Am Tisch legt ihr zwei Brandstifterinnen die Zündschnur aus, den roten Faden, und bereitet eure ‚Lunte‘ vor. DER MOMENT VOM ZÜNDEN ist der erwartete Moment. ZündWerks Name ist Programm.

 

Eure Aktionen sind filigrane Augenblicke, die uns im Alltag die Sinne öffnen. Scheinbar simpel.
Aber simpel ist nicht einfach simpel. Simpel muss man zuerst erobern! Dahinter liegen lange Denkprozesse. Auch für den heutigen ‚Schwebezustand‘ habt ihr ein paar Hinkelsteine verschoben: Liebe Preisträgerinnen, Ihr bringt mit dieser Aktion euer Werk auf den Punkt. Zwischen stark und verletzbar, faszinierend und irritierend. Bei nicht vielen anderen Kunstschaffenden ist die Reduktion einer komplexen Ausgangslage auf ein scheinbar simples Momentum so radikal verknüpft mit dem Wesen eurer Kunst – so wie bei euch.

 

Euer Werk und Eure Herangehensweise, liebe Regula Pöhl, liebe Daniela Villiger, verdienen grossen Respekt – in dieser Zeit / für diese Zeit: Nichtkäuflich, unbestechlich, einzigartig, jeweils einmalig. Was für eine Freiheit! Mit begeisterter Wertschätzung wünscht die St.Gallische Kulturstiftung, dass wir eure Augen-Blicke weiter schauen und erfahren können. Immer wieder mal abheben, zum Schweben bringen, und den Boden nicht aus den Augen verlieren.

 

«Alle Dinge eine Weile» hiess das Violinenstück, das Till Eulenspiegel am besten geigte. 700 Jahre später heisst das: «Gute Dinge brauchen Weile».

https://www.kuenstlerarchiv.ch/zuendwerk