Als Erneuerer der traditionellen Volksmusik tanzt der Komponist, Arrangeur und Akkordeonist Willi Valotti mit diesen Gegensätzen. Er bringt die Regungen des Staunens über die grossartige Virtuosität bis zum Lebensgefühl seiner Heimat unter einen Hut und trägt als deren Botschafter die Schweizer Volksmusik in alle Welt hinaus. Der vielseitige Könner und profunde Kenner, insbesondere der Appenzeller und Innerschweizer Ursprünge, gibt auch dem Jodel pfiffige Impulse: Mit frechen Kompositionen bringt er frischen Wind in die klingenden Landschaften und pflegt mit ideeller Weiterentwicklung die musikalischen Originale. Unermüdlich forschend, über alle Grenzen hinaus experimentierfreudig und stets mit höchstem Anspruch bewegt er als erfahrene Autorität die Szene. Bei Willi Valotti ist die Tanzmusik eine konzertante Kunstform und die Kunst in der Musik berührend volksnah.
«Anerkennungen, verehrte Damen und Herren, und jede Form von Preisen, kommen wie das Wetter bei der ‹Wümmet›: Die Sonne scheint in einem, für den Oechsle-Grad, günstigen Moment – oder sie lässt auf sich warten. Hauptsache, sie kommt. Willi Valotti geniesst in seinem musikalischen Rebberg seine Ernte in voller Pracht, hat jedes Stadium unermüdlich gepflegt – wie es sich für einen Spitzenwein gehört – und seine Maische im ‹Schärme›, wenn ich die Lobrede mit diesem Bild eröffnen darf.
Scheinbar mit Leichtigkeit. Ist es aber gar nicht, lieber Preisträger: Du arbeitest unermüdlich an deiner Musikwelt, seit über 60 Jahren. Ich sehe ein lustiges Kino im Kopf, wenn ich mir vorstelle, wie du als fünf-jähriger Willi mit gespitzten Ohren oben auf der Stein-Treppe stehst und dein diatonisches Örgeli hinunterpurzeln lässt, ‚nomol und nomol‘, nur tönt es leider nicht – von selber! Aber du lockst – als experimentierfreudiger Schlingel – aus deinem Instrument ‹Tschäpper-Klänge›, die mit deinem verspielten Impuls, deiner Idee und dem harten Boden was zu tun haben. Danach beginnt die Arbeit: Auch Onkel Ernst zeigt ein glückliches Händchen: Er erkennt deine Begabung und schenkt dir ein zweites Örgeli. Dein musikalischer Rebberg ist angelegt.
Du wächst in der Volksmusik auf, sie ist deine Landschaft – nicht nur das Toggenburg. Hast die Talente in der Muttermilch und die Freude ‚sicuro‘ im Lombardischen Vaterschalk. Dein Lachen hinter den Falten und Knöpfen des Akkordeons ist grossartig und ansteckend – Dario Fo könnte sich eine Scheibe abschneiden. Es überträgt sich – wie deine Landschaften – in deine Musik. Alles klingt. Der Säntis. Die Churfirsten. Der Vierwaldstättersee. Deine Inspirationen nähren sich aus den ‹Högern› und Mentalitäten. Deine Musik malt die Berge, Seen, Täler. Ohne ihre Topografien zu vermischen. Jedes Tal hat seine unverkennbare Identität. Du pflegst die Eigenheiten. Völlig authentisch. Die Innerschweizer-Musik gibst du anders als die Appenzeller, oder die Wiener, die Ungarische, Argentinische. Du hast dich durch die Welt gespielt und kennst dich aus. «Das hab ich bei keinem praktizierenden Musiker so konzentriert angetroffen wie bei Willi», sagt dein Musikerfreund Wolfgang Sieber. «Stilistisch ein Kenner und auf dem Instrument ein Könner, und dann kannst du auch reagieren, weil du auch Improvisator bist, und dann willst du grundsätzlich einfach gute Musik machen, fertig. Gute Volksmusik.» Sagt Sieber.
«Volksmusik ist ein Lebensgefühl», sagst du selber: So wohltuend, wie zum Säntis hinaufschauen. Ein «Deheime-Gfühl». Musik vom Volk. Fürs Volk. Volk heisst in deiner Sprache – zum Glück: «Viele Leute». Gute Volksmusik ist gute Musik, die stimmt, und sie hat bei dir auch klassische Attitüden, sagt Sieber. Vergleichbar mit einer Haydnsonate oder Mozart. Du orientierst dich an Jahrhunderte übergreifenden stimmigen Höchst-Werten. Beides geht: das «Deheime-Gfühl» – wie dein kritischer Anspruch. Ich staune über deine Virtuosität – so – wie mich der Klang deines Zäuerlis berührt.
In jedem Fall ist deine Volksmusik eine Kunstform. Konzertant und reflektiert. Aus den Kehlen deiner Männertreu erklangen Refrains und raffiniert ausgearbeitete Juchzer, die du bewusst und mit künstlerischem Instinkt ersonnen hattest. Du erforschst und pflegst den Naturjodel. Greifst altes Zeug aus der Kiste und machst es lebendig. Die Jodlerei erneuerst du, ohne Zeiten oder Welten zu verkennen. Mit deiner An-Sicht gehst du ran: «Nicht alles was urchig ist, ist gut, weil es urchig ist und originell.» Du willst im Ursprung ‹nodere›. Erneuerst die Tradition und bleibst ihr treu. Scheinbar ein Widerspruch. Aber es geht, weil du einen gefüllten Rucksack dabei hast. Und wenn du Jazz spielst, dann eben Jazz. Der Tango ist ein anderer und die Ländlermusik darf sich dem Zeitgeist anpassen. «Aber mich stört’s, wenn es nur noch Kultur-vermischtes Zeug gibt», sagst du. «Ich befürworte Grenzüberschreitungen, wenn alles nebeneinander stehen kann.»
In jedem Fall gibst du viele neue Impulse, sagt Claudio Gmür, dein weiterer Profi-Musiker-‹Gschpane›. Du bist schon bei «Heirassa» eingestiegen als Einer, der sich nie zufrieden gibt, Nichts standardmässig spielt. «Do machemer Öppis drus!», sagst du selber. Bist der Dynamit in deinen Formationen, zündest die Lunte an. Nimmst dich zurück. Und legst dein Lachen ins Akkordeon: Du regst an, galoppierst mit deinen Fingerläufen «Schottisch» über die Knöpfe, arrangierst, auch dich selber, und notierst jedem seine Stimme. Auch dieses exakte Miteinander zeichnet dich aus. Du führst deine Melodien mit deinen Leuten spazieren: Lenkst nicht mehr nur den Bagger in deinem alten Traumberuf, den du für die Musik aufgegeben hast – sondern die Volksmusik auf Top-Niveau.
Deine Art ist auch eine ideelle Art. Du hast Ideen, wie man es auch noch machen kann. ‹Pfiffiger›. Dein Anspruch treibt dich: «Da muss man was Anderes machen». Mit deinem Feeling und deiner offenen Haltung gehst du ran. Und du willst das Ursprüngliche er-halten. Auch die Volksmusik kann man auf die Spitze treiben, ohne sich von der Volksmusik zu entfernen.
Deine Qualität hat eine breite Wirkung und setzt sich durch: Du begeisterst junge Musiker, die sich auf dein Terrain wagen. Bist Vermittler in deinen Meisterkursen für junge Talente. «Positiv überzeugen und positiv wirken, das ist Willi», sagt Kollege Sieber.
Du achtest als Jurymitglied in Wettbewerben auf Harmonie und Reinheit. Hörst – auch in Chören – jede Nadel fallen. Habest ein Gedächtnis wie ein Elefant, sensible Ohren fast wie eine Fledermaus, eine Wahrnehmung wie ein edler Lipizzaner und eine Präzision wie ein Hochseilartist, bei dem es ja auch um Alles geht. «Hochbegabt mit feinem Sinn für Formen, Melodien und Harmonien», fasst Sieber zusammen. «Barmherzig und freigiebig – aber nicht von Anfang an!» – Für Dilettanten nicht pflegeleicht. Als Künstler kompromisslos. Es kann auch mal ‹räblen›. Beim Komponieren denkst du nicht vorwiegend ans ‹Gfalle-müese›. Deine Musik stösst trotzdem nicht vor den Kopf. Sie ist immer harmonisch. Das ist der Nährboden, mit dem du die Kultur – Tradition und Kunst – differenzierst. Darauf gedeiht dein reichhaltiger Rebberg.
«Du muesch näbis Rechts lerne», gab dir deine Mutter Berti Giger auf den Weg. Sie hatte Recht: Die Volksmusik hat dich gross gemacht. Du machst die Volksmusik gross. «Mer cha us Allem Näbis mache», sagst du, mit nur scheinbarer Leichtigkeit: Letztlich Schönes und Entspanntes. Zum Fühlen und Staunen. «Und was – in deiner Vielfalt – ist dein liebstes Kind?», hab ich dich gefragt – «Alles», sagst du. Du trägst viele Seelen in deiner Brust. Vielleicht so viele wie Falten in deiner Handorgel.
Alle unter einen Hut gebracht – unter deinen geliebten Borsalino – machen den Willi Valotti aus, der heute einen Anerkennungs-Preis der St.Gallischen Kulturstiftung trägt. Ein edler Tropfen – um mit dem Rebberg abzuschliessen. Wir gratulieren dir herzlich.
http://www.valotti.ch/