St. Gallische Kulturstiftung

1992, Frühjahr

Turnverein STV Oberriet, Brauch der Eierleseta

  • aus Oberriet
  • Anerkennungspreis über Fr. 5000.– für die Region Rheintal
  • Sparte: Erhaltung und Pflege des Brauchs der "Eierleseta", der in Vergessenheit geraten war

Urkunde

Auf Anregung von Posthalter Ruedi Loher hat sich der Turnverein Oberriet-Eichenwies des uralten Brauchs des Eierlesens angenommen und ihn jahrzehntelanger Vergessenheit entrissen und auf eindrückliche Weise wiederbelebt, so dass in regelmässigen Abständen durch fröhliche Verbindung von Brauchtum, Sport und Spiel die-Freude über das Wiedererwachen der Natur im Frühling zum Ausdruck gebracht wird. Die St.GalIische Kulturstiftung anerkennt den uneigennützigen Einsatz zugunsten der Gemeinschaft und den wertvollen Beitrag zur Belebung und Bereicherung des dörflichen Kulturlebens. Sie würdigt die Pflege alten einheimischen Brauchtums als bedeutsamen Ausdruck der Verbundenheit und der Stärkung des Heimatgefühls.

 

Laudatio

Alles freuet sich und hoffet, Wenn der Frühling sich erneut.“

 

Was Friedrich von Schiller in seinem Dichtervers ausdrückt, ist Grund für ein reichhaltiges Brauchtum, das dem Wiedererwachen der Natur gewidmet ist. Es reicht, wie uralte Schriften belegen, in vielfältigen Formen und unterschiedlichen Ausprägungen weit zurück. Seine Quellen verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Es vermengen sich alte, heidnische Fruchtbarkeitsriten, die Austreibung von Wintergeistern und Dämonen mit christlichem Osterglauben. In mannigfacher Weise kommt die Freude zum Ausdruck über das Ende der lebensfeindlichen Winterstarre und die Freude über das Wiedererwachen der Natur im Aufbrechen der Knospen und im ersten jungen Grün.

 

Schon in grauer Vorzeit haben sich die Menschen an bestimmten Tagen zusammengefunden zu feiern den Sieg des milden Frühlings über den harten Winter, den Sieg des Lichtes über das Dunkel den Sieg der Hoffnung über den Zweifel den Sieg des Lebens über den Tod. Die regelmässige Wiederholung der Feierlichkeiten im zeitlich festgelegten Rahmen, im genau begrenzten Raum und in der vorausbestimmten Rollenverteilung war und ist dazu angetan, Gemeinschaft zu fördern, das Gefühl des Zusammengehörens zu stärken und Geborgenheit zu schenken. Aber auch das Brauchtum unterliegt dem Wandel. Im Lauf der Zeit schwindet da und dort das Verständnis für alte Überlieferung, und manche Erneuerer schütten leicht auch etwa das Kind mit dem Bade aus.

 

Der Osterbrauch des „Eierlesens“ in Oberriet, welcher zu Beginn dieses Jahrhunderts noch gelebt und gefeiert wurde, ist im Ersten Weltkrieg aufgegeben worden. Der Posthalter von Oberriet. Herr Ruedi Loher, hat sich des Brauchs erinnert und vor gut 20 Jahren Anstoss zu dessen Wiederbelebung gegeben. Ideen allein tun’s freilich nicht. Sie bedürfen der Umsetzung. Sie brauchen, sollen sie Wirklichkeit werden, eine Trägerschaft. Im Turnverein Oberriet-Eichenwies hat der Initiant eine Gemeinschaft gefunden, die nicht nur bereit war, den Gedanken aufzunehmen, sondern auch weiterzupflegen und ihn verantwortungsvoll über Jahre und Jahrzehnte weiterzutragen. Mit überraschendem Erfolg ist 1971 die Eierlesete aus 60jährigem Dornröschenschlaf geweckt worden. Seither streiten in regelmässigem Turnus wieder die Geister des Frühlings mit den Dämonen des Winters, kämpfen die Grünen mit den Dürren, deren Niederlage und Austreibung ebenso gewiss ist, wie die Verheissung von Fruchtbarkeit für Feld und Hof. Seither finden im Anschluss an den Umzug, welcher sich einheimischem Brauchtum öffnet, auch wieder das Eierlesen und Eierwerfen statt und die Bevölkerung trifft sich zu sportlich-spielerischem Vergnügen und zum Tanz in fröhlicher Gesellschaft. Der alte Brauch, neu belebt, schenkt Lebensfreude, fördert Gemeinsinn, schafft Heimat.

 

Die St.Gallische Kulturstiftung spricht dem Turnverein STV Oberriet-Eichenwies Anerkennung aus dafür, dass er vor rund 20 Jahren den Gedanken aufgenommen, den Brauch des Eierlesens wiederbelebt und ihn seither in schöner Regelmässigkeit pflegt. Die Stiftung würdigt den Einsatz zur Erhaltung alten, einheimischen Brauchtums als kulturelle Wohltat und verleiht der engagierten Trägerschaft einen Anerkennungspreis. Dieser Preis ist mit 5000 Franken dotiert.