St. Gallische Kulturstiftung

2018, Frühjahr

Till Ostendarp

  • aus Wattwil
  • Förderpreis über Fr. 10000.– für die Region Toggenburg
  • Sparte: Musiker (Posauen, Schlagzeug), Komponist, Bandleader

Urkundentext

Der Wattwiler Till Ostendarp ist Posaunist mit Jazzschul-Diplom, Schlagzeuger, Bandleader, Texter, Sänger, Komponist, Dirigent und DJ. Ein musikalisches Multitalent. Sein ureigenes musikalisches Kind heisst «Pirmin Baumgartner Orchester». Diese Akustik-Elektro-Punk-Pop-Jazz-Band ist eine Allround-Packung, für die er jede Note zu Hause am Computer komponiert. Till Ostendarp beweist, dass sich Avantgarde, energiegeladener Sound und Unterhaltung vereinen lassen. Mit Songs wie «Mut zur Hässlichkeit» oder «Ihr Trottel legt Feuer gegen Feuer aus» zeigt er zudem Sinn für sarkastische Zeitanalyse und freche Polittexte. Als musikalischer Partner des Zürcher Songwriters Faber ist er auf gutem Weg auch zum kommerziellen Erfolg. Der Förderpreis ist Anerkennung und Ermutigung zugleich.

Laudatio von Hansruedi Kugler, Stiftungsrat

Liebe Gäste

Wir freuen uns heute Abend über den Förderpreis für einen jungen Komponisten und Texter, Posaunisten, Schlagzeuger und Sänger, diplomierten Jazzmusiker, Bandleader, Arrangeur und DJ, Klangtüftler, Computerfreak, Orchesterleiter, Dirigenten, Elektromusiker und Deutsch-Toggenburger. Also ganz schön viele Rollen, Berufe und Talente. Unter anderem für diese Vielseitigkeit bekommt der junge Mann heute diesen Preis. Er heisst Tillman Ostendarp, oder doch eher Pirmin Baumgartner oder DJ Real Madrid ?

 

Bevor ich ein paar lobende und charakterisierende Worte sage, will ich Ihnen zeigen, mit wem (oder was) wir es zu tun haben. Weil: Den Mann muss man auf der Bühne erlebt haben. Und weil er heute nicht selbst auf die Bühne stehen wollte, bekommen Sie diesen Eindruck via Computer. Ich werde drei kurze Ausschnitte zeigen, die Till Ostendarps bisherige Karriere skizzieren.

Der erste Konzert-Clip ist 2012 in St.Gallen aufgenommen worden: (https://www.youtube.com/watch?v=9cTaGAHuVtQ) Ich hoffe, Sie sind ein bisschen schockiert. Till Ostendarp singt hier gleich mal programmatisch: «Wenn Du zu prüde bist, geh nach Hause. Wenn Du keinen Sinn für Niveau hast, geh nach Hause. Dann geh wohin, wo dir alles passt. Du Kulturbanause.» Schön gesagt und treffend, finde ich. In der Kultur soll man sich ja bitte dem Fremden und Neuen, dem Komischen und dem Idealen, der Gefahr und den Abgründen aussetzen. Und wenn ich so ins Publikum blicke, so sehe ich zufrieden: Da geht niemand schon jetzt nach Hause. Man fragt sich: Warum stecken die Musiker alle in diesen Ganzkörperanzügen? Das wird uns Till Ostendarp noch erklären.

Der zweite Konzert-Clip ist zwei Jahre später, 2014, am Open Air St. Gallen, aufgenommen worden. Der Song heisst – wieder programmatisch: «Mut zur Hässlichkeit». (https://www.youtube.com/watch?v=3pwiLzpYJdk) 

Der dritte Konzertausschnitt, den ich hier einspiele, stammt aus der aktuellen und äusserst erfolgreichen Karrierephase von Till Ostendarp: Nämlich als musikalischer Partner, als Posaunist und Schlagzeuger des Songwriters Faber:  (https://www.youtube.com/watch?v=9VBHVq5ZTi8) 

 

Liebe Gäste, Sie sehen: Wir haben es hier mit einem energiegeladenen, zornigen Mann zu tun. Der aber auch eine butterweiche Seite hat. Da liest man doch in der Hülle zur CD «Schwere Knochen» seines Pirmin Baumgartner Orchesters – das ist diese CD hier, sehr cool gemacht, sieht etwas düster aus, alle Musiker sind mit Foto porträtiert, schauen allerdings ein bisschen wie Zombies drein. Nun gut, die butterweiche Seite. Da steht also im Booklet: «Grösstes Dankeschön an: Margret Herzog und Hermann Ostendarp, dafür, die besten Eltern zu sein.» Das tönt ja dann wirklich herzig für einen Rockmusiker. Aber Till meint das glaub wirklich so. Wenn er eine Tourneepause einlegt und ein paar Tage im Elternhaus oberhalb Wattwil verbringt, sagt er dazu: Das sei wie Reha – also wie Erholungs- und Erfrischungsurlaub. Es hat wohl mit Verbundenheit, mit der Unterstützung durch die Eltern, beide hoch musikalisch, zu tun, und etwas Nostalgie mag auch mitschwingen: Hat Till Ostendarps Bandkarriere doch in der Waschküche des Elternhauses begonnen. Schlagzeug begann er in der dritten Klasse, später kam die Posaune dazu, er gründete Schülerbands, war Posaunist im Jugendorchester Il Mosaico, das sein Vater Hermann gründete und immer noch leitet. Vater und Sohn Ostendarp steuerten 2012 die Musik zum Freilichttheater «Ein Sommernachtstraum» bei: Der Vater mit dem Streicherorchester, der Sohn mit seiner Jazzband. Noch in der Kantizeit kommt die Geburt der Gruppe Pirmin Baumgartner, die wir in Ganzkörpermontur und am Open-Air St. Gallen gesehen haben. Es ist sein ureigenes musikalisches Kind, setzt sich zusammen aus Jugend- und Musikerfreunden und ist eine Akustik-Elektro-Punk-Pop-Jazz-Band, so eine Art Allround-Packung, für die Till Ostendarp – wie er sagt – jede Note zu Hause am Computer komponierte. Nächste Station: Eben Jazzschule in Luzern mit Hauptinstrument Posaune und die Begegnung mit Julian Pollina, Faber genannt, dessen steile Karriere Till als posaunender Schlagzeuger und musikalischer Partner mitprägt. Wir haben ja einen Ausschnitt aus einem der immer ausverkauften Konzerte gesehen.

 

Hier zu stehen mag etwas peinlich wirken. Denn was soll ein älterer Herr über 50 wie ich schon über einen jungen, wilden Musiker wie Till Ostendarp sagen? Einer, der in die Schweizer Provinz geboren wurde, einer Provinz, die sich musikalisch mit Vico Torriani und dem Trio Eugster zufrieden gegeben hatte. Was kann schon einer wissen, der seit 30 Jahren nicht mehr an Open-Airs geht, aber vor 35 Jahren die Rolling Stones live gesehen hat, AC/DC, Udo Lindenberg, unzählige Jazzkonzerte und die Anfänge von Züri West miterlebt hat – als diese noch Energie hatten und sich noch nicht auf dem Abstellgleis melancholischer Altersliedli zur Ruhe gesetzt hatten. Vielleicht sage ich einfach dies: Energiegeladene, vielseitige Musik und der furchtlose, ungestüme Hang zu metaphernreichen Botschaften in seinen Texten ist das Faszinierende bei Till Ostendarp.

 

Das ist ja überhaupt das Erstaunliche: Vor 50 Jahren hätte Till Ostendarp nie und nimmer einen Kulturpreis bekommen. Das hat sich zum Glück geändert und sogar über 30 Jahre Altersunterschied kann man heute ein Musikgefühl teilen. Klar: Man kann objektiv bewerten und sagen, die Musik von Till Ostendarp steht im Gegensatz zu vielen aktuellen Pop-Bands. Allzu viele Popmusik ist viel zu gefällig, besteht aus unreifen Texten, jämmerlichen Reimen und simplen Melodien. Ostendarps Musik hingegen ist roh und gleichzeitig reif, sie ist professionell und trotzdem ungestüm, sie ist eingängig und dennoch vertrackt. Da ist musikalisch sehr viel Hymnisches und Elegisches drin, da wird gefeiert und geklagt, textlich hört man viel Zorn, Schwermut, Pathos und Sarkasmus. Und die Bühnenperformance – deshalb wollte ich Ihnen ja die drei Clips zeigen – die Bühnenperformance zeugt von Spass, Verschwendung und eben sichtbar sehr viel Energie. Diese Energie kann einen abschrecken. Ich finde sie anziehend. Und ich hoffe, es geht anderen meiner Altersgenossen ähnlich. Till Ostendarp ist nicht nur fleissig, handwerklich solide und kreativ. Der Mann hat auch einen süffisanten Sinn für poppige Ironie.

 

Klickt man auf seine Webseite www.tillostendarp.com, so findet man da gar nichts. Aber der Till Ostendarp steht neben einem brüllenden Tyrannosaurus Rex, verfolgt lakonisch das Duell zwischen einem Geparden und einem Raubsaurier, dann zwischen einem violetten Bären und einer roten Löwin, dann wird ein Puma von einem Büffel aufgespiesst. Schliesslich steht Till Ostendarp vor zwei Gorillas, die in einem weissen Jeep hocken. Wenn man das wieder programmatisch lesen will, ist darin eine Ansage: Das Leben ein brutaler Kampf und die Musik dazu ein wilder Urschrei. Passt alles zusammen. Dann muss man eben seine Botschaften rausbrüllen – wir haben Till Ostendarp ja in den Clips gehört: Und auf seiner CD «Schwere Knochen» rennt einer wie von Sirenen verführt ins Meer, Ostendarp haucht zwei sehnsüchtige Liebeslieder ohne das Wort «Liebe» zu benutzen, lästert im ironischen Discostil über verwöhnte intellektuelle Hipster und Pseudo-Revolutionäre, lässt einen Pfau als Sinnbild für den Schönheitswahn schlachten, rappt über geldgierige Idioten und nennt sie schlicht Affen, gibt Überlebenstipps nach dem Winterschlaf, der als existenzielle Wiedergeburt gepriesen wird und vieles mehr. Sucht man das Pirmin Baumgartner Orchester im Internet, heisst es da, bevor man auf die Homepage kommt: «Die Zeit der grossen Gefühle in der Kunst ist vorbei? Alles nur noch abgebrühte Ironie und verbitterter Zynismus? Minimalismus überall? Das mag wohl so sein, aber es sollte nicht.» Nein, ein Zyniker ist Till Ostendarp nicht, aber ein ruheloser Charakter.

 

So komme ich zum Schluss meiner kleinen Lobrede: Förderpreise sollen in der Regel Ansporn sein für weitere Projekte. Allerdings: Ansporn braucht dieser junge Mann kaum – eher schon mal – eben: eine Ruhepause. Zumindest heute Abend wollen wir ihm eine gönnen und ihn kräftig beklatschen.

https://www.tillostendarp.com