Die Kulturstiftung ehrt das Ehepaar Simone und Peter Schaufelberger-Breguet im Jahr des zwanzigjährigen Jubiläums ihres Lebenswerkes, dem Museum im Lagerhaus und der Stiftung für schweizerische Naive Kunst und Art Brut, mit dem St.Galler Kulturpreis. In zwei Jahrzehnten haben sie sich mit ebenso begeistertem wie kompetentem Engagement der Förderung des künstlerischen Schaffens von Aussenseitern und Benachteiligten gewidmet, eine bedeutsame, international beachtete Sammlung aufgebaut und mit Ausstellungen, Publikationen und einer vielfältigen und alle Generationen einbeziehenden Kunstvermittlung dem Publikum nahegebracht.
Auch in vielen weiteren Bereichen zeitgenössischer Kunst und Kultur sind sie als Publizisten, Juroren, Referenten, Ausstellungsmacher und vielem mehr unermüdlich aktiv und leisten einen unschätzbaren Beitrag zum kulturellen Leben in der Ostschweiz.
Zum ersten Mal begegnete ich Simone und Peter Schaufelberger zu Beginn der achtziger Jahre in den damals in St.Gallen noch etwas zahlreicheren Galerien. Es war eine Zeit künstlerischer Experimente und kreativen Aufruhrs, auch in unserer Stadt. Als Studentin begann ich damals eben, erste Schritte als Kunstkritikerin zu wagen und ich las mit Bewunderung die einfühlsamen und wunderbar formulierten Texte von Simone Schaufelberger-Breguet. Was noch niemand wusste: dass für sie in eben dieser Zeit jene Entdeckungsreise begann, deren Erkenntnisse und geborgene Schätze wir heute – unter anderem – feiern. Wie Simone selbst im Jubiläumsbuch schreibt, war sie damals als Mitglied im Komitee der mehrjährigen Ausstellungsreihe «Kunst um den Bodensee» dazu «verdonnert» worden, zum Thema «Naive Malerei – naiv?» einen Katalogtext zu verfassen. Es war der Beginn einer «grossen Liebe», die Simone und Peter Schaufelberger seither miteinander und mit vielen anderen teilen.
Es waren allenthalben aufregende Zeiten – die 80er Jahre, viel Neues wurde erdacht und gewagt und mit Elan und Enthusiasmus angepackt, was heute selbstverständlich zum Kulturleben unserer Stadt und Region gehört. Als die Kunst sich ab Ende der 80er Jahre die städtischen Lagerhäuser zu erobern begann, zunächst jenes an der Vadianstrasse, wo heute die Polizei untergebracht ist, später jenes an der Davidstrasse, liessen sich die beiden heutigen Preisträger gemeinsam mit Josef und Mina John und Curt und Erna Burgauer von dieser Aufbruchsstimmung mitreissen und wagten ihr eigenes Abenteuer namens «Stiftung für Naive Kunst und Art Brut» und «Museum im Lagerhaus». Die Jubiläumsschrift zum zwanzigjährigen Bestehen spielt im Titel «Eigentlich solltest Du …» auf die Anfänge an, als die an Josef John gerichteten Worte «Eigentlich solltest Du Deine Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich machen» diesen dazu bewegten, schliesslich den definitiven Anstoss zur Gründung der Stiftung zu geben.
1988, schon kurz nach einer ersten Präsentation der neuen Stiftung im Regierungsgebäude, eröffnete das Museum im Lagerhaus seine Räume an der Vadianstrasse 57. Eine ganz neue Welt tat sich dort auf. Eine urtümliche schöpferische Kraft strahlte aus diesen Bildern und Gestaltungen, berührend, ergreifend in der unbekümmerten, frei sich austobenden Fantasie, auch manchmal verstörend in ihrer ungestümen und schonungslosen Direktheit und Offenheit.
Zwei der in meiner Studienzeit wichtigen Lektüren waren Wassily Kandinskys und Franz Marcs Der blaue Reiter und eine Sammlung von Texten der Surrealisten. Im ersten berührte mich die Offenheit des Horizontes, der nicht nur Kunstwerke verschiedener Epochen und Kulturen, sondern auch vorbehaltlos Bilder von Kindern und künstlerisch nicht gebildeten Gestaltern umfasste und als oberste Bedingung für eine wahrhaftige Kunst eine «innere Notwendigkeit» verlangte. Bei den Surrealisten faszinierte mich die wilde und bedingungslose Behauptung der Freiheit des menschlichen Geistes.
Nun fand ich in den Ausstellungen bei Simone und Peter Schaufelberger all dies lebendig vor, was mich in jenen Texten so begeistert hatte. Da wurden fantastische Kosmologien entworfen, wilde Farbenreigen getanzt, unglaubliche Geschichten gesponnen, aber auch akribisch die Realität der eigenen Lebenswelt aufgezeichnet.Die Vorstellung, dass Kunstschaffende in ihrer Kunst etwas aus ihrem Innersten preisgeben, erringt in den Werken, die uns im Universum von Art Brut, Naiver oder Aussenseiter-Kunst begegnen, eine ganz andere und viel greifbarere Dimension und Wahrheit. Vielleicht ist es das, was so viele Menschen an dieser Kunst begeistert und fasziniert, weshalb es leichter ist, einen Zugang zu ihr zu finden, obwohl ihre Schöpferinnen und Schöpfer sich meist nicht erklären können, wir sie vielleicht in ihren Nöten und Zwängen viel weniger verstehen als Künstler, die mit Konzepten oder bewussten Zielen arbeiten oder am Ende des Schaffensprozesses reflektieren, sogar erläutern, was sie «produziert» haben und was sie dabei bewegt und interessiert hat.
Vielleicht schlagen diese Werke die Saiten der eigenen Fantasie an, die spröde geworden sind, weil wir sie nicht spielen, wecken Sehnsucht und Lust, im Verborgenen Schlummerndes freizusetzen. Wir staunen ob der Unbekümmertheit, mit der hier geschaffen wird, und ob der wundersamen Kraft, ja Wucht, mit der das Schöpferische sich allen Hindernissen zum Trotz seine Bahn bricht. Und insbesondere wecken diese Werke die Ehrfurcht vor dem Mut, der diese Menschen befähigt, Benachteiligungen jedweder Art zu überwinden.
Wenn wir heute das Jahrzehnte lange Wirken von Simone und Peter Schaufelberger ehren, so steht sicherlich dieses, ihr Lebenswerk, im Vordergrund, welches just in diesem Jahr das 20 jährige Jubiläum feiert und zugleich in eine neue Zukunft aufbricht, haben sie es doch in neue Hände gegeben, nämlich in jene der Museumsleiterin Dr. Monika Jagfeld und des Stiftungsratspräsidenten Peter Schorer.
Während zwei Jahrzehnten haben Simone und Peter Schaufelberger nicht nur in den eigenen Museumsräumen etwa 90 Ausstellungen verwirklicht, sondern immer wieder auch ausser Haus, im In- und Ausland, und sie unterstützten viele andere Projekte beratend und tatkräftig, wie z.B. das Hotel Dom in St.Gallen. Sie bauten dabei ein dichtes Netzwerk mit Institutionen im In- und Ausland auf und bauten das Museum und die Stiftung zu einem weit über die Region anerkannten Zentrum für Naive und bäuerlich naive Kunst, Art Brut und Aussenseiter-Kunst aus.
Von Anfang an pflegten sie eine besonders fortschrittliche und alle Generationen, v.a. auch die Kinder ansprechende Vermittlungstätigkeit und haben in Publikationen, Vorträgen und Führungen dem Publikum diese Kunst näher gebracht. Und: gemeinsam mit der Kunsthalle und vielen anderen kämpften sie an vorderster Front um die Anerkennung und den Erhalt des Lagerhauses als Kulturhaus.
Als ob dieses riesige Pensum noch nicht mehr als genug gewesen wäre, blieb ihnen immer auch die Auseinandersetzung mit der – wie soll man sie nun nennen – «offiziellen» oder «Insider» Kunst ein grosses Anliegen, sei es als Journalisten, als Mitglieder in verschiedenen Institutionen und Gremien, erwähnt seien nur Simones Schaufelbergers Engagement in der Programmkommission des St.Galler Kunstvereins oder der Kulturförderungskommission der Stadt St.Gallen, und Peters Tätigkeit als Redaktor der Bodensee Hefte und Juror beim Konstanzer Kunstpreis. Stets setzten sie sich mit Vehemenz für die Stärkung und öffentliche Wahrnehmung des regionalen Kunstschaffens ein. Und als ob das noch immer nicht genug wäre, kamen Aktivitäten und Engagements in den Bereichen Musik, Theater und Literatur hinzu. So ist den beiden ein alle Kultursparten umfassender, ausserordentlich weiter und offener Horizont eigen. Und wie es scheint haben sie Zugang zu einem unerschöpflichen Quell an Energie und Ideenreichtum und Begeisterungsfähigkeit, so dass sie seit Jahrzehnten bewegende Kräfte und tragende Säulen unseres Kulturlebens sind.
Ich möchte mit einem Zitat von André Breton schliessen (aus „Der Surrealismus und die Malerei“, 1925-26), das man sowohl auf jene Kunst, der Simone und Peter Schaufelberger-Breguet eine Heimat gegeben haben und wofür sie heute geehrt werden, wie auch auf ihr eigenes Leben und Wirken beziehen kann: „Ich denke, die Menschen werden sich lange Zeit danach sehnen, zu den wirklichen Quellen des Zauberflusses hinaufzusteigen, der ihren Augen entströmt, um die Wahnvorstellungen der Dinge, die da sind, und jener, die nicht sind ins selbe Licht, ins selbe Dunkel zu tauchen. Ohne immer genau zu wissen, wem sie die betörende Entdeckung verdanken, werden sie eine dieser Quellen ganz oben vermuten über dem Gipfel aller Berge. Die Gegend, wo zauberische Schwaden sich verdichten zu etwas, das sie noch nicht kennen und das ihnen lieb sein wird, in einem Blitz wird ihnen diese Gegend aufleuchten.“