St. Gallische Kulturstiftung

2010, Frühjahr

Robert Forrer

  • aus Lichtensteig
  • Anerkennungspreis über Fr. 10000.– für die Region Toggenburg
  • Sparte: Pionier der Ortsbildpflege, Archivar

Urkunde

Robert Forrer erhält den Anerkennungspreis der St.Gallischen Kulturstiftung für seinen unermüdlichen, lebenslangen und selbstlosen Einsatz für die Anliegen der Denkmalpflege, der Erhaltung und Gestaltung des Lichtensteiger Ortsbildes, für Schutz und Pflege des steinernen, hölzernen und papierenen Kulturgutes.

Mit hunderten von Vorträgen und Referaten hat der Geehrte Wissen und Erfahrung an öffentlichen und privaten Anlässen für Interessierte vermittelt und deren eigenen Bemühungen unterstützt. Zahlreiche Archive sind gesichert und zugänglich gemacht worden. Sein Einsatz für den Kulturgüterschutz ist 1978 mit dem Wakkerpreis für das Städtchen Lichtensteig gewürdigt worden. Der Stiftungsrat will mit der Verleihung eines Anerkennungspreises nicht nur für das Geleistete danken, sondern insbesondere auf Wert und Bedeutung des Schutzes unseres heimischen Kulturgutes hinweisen.

 

Laudation von Dr. Hans Büchler, Stiftungsrat

Im Jahre 1400 hatte Graf Donat von Toggenburg den Bürgern des Städtchens Lichtensteig die schriftliche Bestätigung ihrer Rechte gewährt. Die selbstbewusste Bürgerschaft und die Schultheissen des Gewerbestädtchens und einzigen Marktortes im Toggenburg liessen sich diese «Freiheiten» bei jedem Wechsel des Landesherrn bestätigen. 1798 hatte Karl Müller von Friedberg, der letzte äbtische Landvogt im Toggenburg, bei seinem Abschied das Ehrenbürgerrecht von Lichtensteig erhalten. Hier hatte er das politische Tagesgeschäft erlernt. Offenbar genügten ihm die Erfahrungen mit den Bewohnern des Toggenburgs und den Lichtensteigern, um 1803 politisch locker den Kanton St.Gallen mitzugründen und weitere 28 Jahre als Regierungspräsident des Kantons St.Gallen zu überstehen. Soweit die Geschichte und die rahmende Kulisse für den heute zu ehrenden Robert Forrer, ebenfalls Ehrenbürger von Lichtensteig.

 

Der in Brunnadern Aufgewachsene begann 1939, ausgerüstet mit Ellbogenschonern, eine Verwaltungslehre im Rathaus Lichtensteig. Dieses Haus sollte er erst 1988 nach fast fünfzig Jahren, davon eine zwanzigjährige Amtszeit als Stadtpräsident, wieder verlassen. Seine Erinnerungen sind Teil der Geschichte: Die Arbeiten wurden noch am Stehpult ausgeführt. Die Stadtverwaltung bestand aus vier Personen. Der einzige Lehrling hatte auf Anhieb «Alles» zu lernen. Da der nebenamtlich tätige Stadtpräsident gesundheitliche Probleme hatte und der Gemeinderatsschreiber (und spätere Regierungsrat) August Schmuki sowie der Kanzlist zum militärischen Aktivdienst eingerückt waren, musste der Lehrling die Gemeinde führen, verbunden mit einer geheimen Telefonnummer zu Schmucki. Vorbereitung und Durchführung der Rationierung wurde zur Probe für später folgende Aufgaben. In der Freizeit erstellte der Lehrling, angeregt durch den Gossauer Historiker Josef Denkinger, das erste Archivverzeichnis für das umfangreiche und wertvolle Archiv der Stadt. In einer Zeit also, als die St.Gallischen Gemeinden archivtechnisch noch tief in der Kultur des Neandertals steckten. Es war eine Tätigkeit, die sein Interesse an Geschichte förderte und heute, nach gut 70 Jahren, einer der Gründe zur Ehrung wird. 1945 folgt Robert Forrer nach der Wahl Schmukis zum Stadtpräsidenten als 23-jähriger und damit jüngster Gemeinderatsschreiber des Kantons St.Gallen nach.

 

Mit den Grundsätzen, immer für den Bürger da zu sein und keine politischen Ämter anzustreben, verwuchs der Lehrling, der Gemeinderatsschreiber und der Stadtammann mit den Schönheiten und Problemen eines Städtchens aufs engste. Er nutzte die Zeit, um Pionierleistungen in den Bereichen der Denkmalpflege und des Kulturgüterschutzes zu vollbringen. Nicht nur im Kanton St.Gallen, sondern schweizweit. Als die Regionalplanung Nordostschweiz aus fünf Kantonen je eine Gemeinde suchte, um ein photogrammetrisches Inventar des Ortsbildes zu erstellen, wurde Lichtensteig der St.Gallische Vertreter. Die ETH Zürich leistete mit Professor Kasper die Pionierarbeit.

 

Der Entscheid sollte sich spätestens nach dem verheerenden Brand von 1984 lohnen, als fünf Partien mitten in der Altstadt nach den photogrammetrischen Daten von Häusern und Häuserzeilen äusserlich wiederhergestellt werden konnten. Eine Pionierarbeit wurde auch die inzwischen auf sieben Bände angewachsene Dokumentation zu den Häusern in und ausserhalb des Städtchens. Berufliche Arbeit und Freizeittätigkeit verschmolzen zu einem Ganzen. Höhepunkt dieser Bestrebungen wurde 1975 die Auszeichnung des Europarates für die Stadt Lichtensteig: «Für die Pflege des Unverwechselbaren und für die zielbewusste Sorge, das organisch Gewachsene lebendig zu erhalten und zu fördern.»

 

Im Jahre 1988 hatte Robert Forrer aus Altersgründen die berufliche Tätigkeit in jüngere Hände gegeben, um die Freizeit voll in den Dienst der Geschichtsforschung und der Sicherstellung von Kulturgütern zu widmen. Nicht dutzende, nein hunderte von Referaten im Kanton, meist aber im Städtchen begleiteten diese Arbeit. Unzählbar ist auch die Fülle der Auskünfte und Dienstleistungen. Das Archiv der Stadt Lichtensteig gilt heute als Vorzeige-Modell des Kantons. Bibliotheken und Archive vertrauen auch immer wieder junge Mitarbeitende der Schulung des gestrengen Meisters an. Andere Archive von toggenbur-gischen Gemeinden, evangelische UND katholische Kirchenarchive (man kann ja nie wissen!) – inzwischen neun an der Zahl – sowie rund zwölf Vereinsarchive tragen inzwischen das Gütesiegel «Made by Robert Forrer». Häufig begleiteten Dokumentationen und Publikationen diese Arbeit. Vor kurzem wurde sogar – bis jetzt einmalig in der Schweiz – sein Gewerbeverzeichnis besonderer Art für Lichtensteig veröffentlicht. Und all diese Tätigkeit hast Du Zeit Deines Lebens als Dienst an der Gemeinschaft verstanden. Gratis. Es ist an der Zeit, dass Dir diese (Gemeinschaft) heute «Danke» sagt.