St. Gallische Kulturstiftung

2024, Herbst

Rathaus für Kultur

  • aus Lichtensteig
  • Anerkennungspreis über Fr. 10000.– für die Region Toggenburg
  • Sparte: Kulturbetrieb

Urkunde

In nur fünf Jahren hat der Verein Rathaus für Kultur das ehemalige Rathaus der Stadt Lichtensteig zu einem strahlkräftigen kulturellen Knotenpunkt entwickelt und als feste Grösse im Lichtensteiger Städtli-Leben etabliert. Das Rathaus gestaltet die Zukunft der Region aktiv mit, vernetzt Kunst- und Kulturschaffende mit der Bevölkerung und überzeugt mit frischen Ideen und Projekten. Über die Landesgrenzen hinaus gilt das Rathaus für Kultur auch als Vorbild für die Belebung von Ortschaften in ländlichen Regionen.

Ein eigenständiges Profil entwickeln und gleichzeitig die diversen Aufträge und Erwartungen der Öffentlichkeit erfüllen: Diese Herausforderung meistert dieses einzigartige Projekt dank lustvollem Denken und Tüfteln, umsichtigem und beherztem Handeln sowie tauglichen Strukturen in anerkennenswerter Weise.

 

Laudatio, von Sabina Brunnschweiler, Co-Leiterin Amt für Kultur Kanton St.Gallen

 

Glück gehabt!

Kurz nach Antritt meiner Stelle im Amt für Kultur, an der ersten Sitzung mit der St.Gallischen Kulturstiftung, fragte mich Thomas Birri, ob ich eine Beziehung zum Toggenburg habe, ob ich mir vorstellen könnte, eine Laudatio aufs Rathaus für Kultur zu schreiben. Ich musste lachen. Natürlich habe ich eine Beziehung zum Toggenburg, was für eine Frage! Die Anwesenden lachten mit. Und ich konnte nicht mehr nein sagen.

 

Verstehen Sie mich richtig!: Ich halte gerne eine Laudatio aufs Rathaus für Kultur, weil ich überzeugt bin, dass der Preis hoch verdient ist, aus fachlichen, künstlerischen, kulturpolitischen Gründen. Dass es eine persönliche Verstrickung gibt – wenn auch eine rein emotionale –, macht den Auftrag, einen Text zu schreiben, aber etwas anspruchsvoller.

 

Ich bin nicht weit von hier, in Ebnat-Kappel, aufgewachsen. In meiner Jugend hatte ich das Glück, dass mir und meinen Freundinnen eine Gruppe von Kulturaktivist:innen über den Weg gelaufen ist, die zuerst in der Alten Weberei in Ebnat-Kappel und später im Kraftwerk Krummenau ein Kulturlokal aufbauten und interessiert waren an jungen Menschen, die sich einbringen wollten. Wir halfen nicht nur an der Bar, sondern nahmen von Beginn weg an den stundenlangen, rauchgeschwängerten Vereinssitzungen teil. Ich übernahm den Kontakt zu den Medien, in der Region und manchmal auch darüber hinaus, schrieb Pressetexte im Voraus und – wie es bei den Lokalzeitungen hier üblich war – auch gleich selber die Kritiken im Nachhinein. Nicht nur für mich, auch für viele meiner Kolleg:innen, wurde damals beruflich eine Weiche gestellt. Einige sind heute als Ton- und Lichttechniker, Theater- und Filmemacherinnen in Hamburg, Berlin, Zürich tätig.

 

Meine tiefe Verbundenheit zum Kulturschaffen stammt aus dieser Zeit. Genauso begründe ich meine anhaltend starke, von Zürcher Freund:innen manchmal etwas belächelte Verbundenheit zu meiner Herkunftsregion – neben einer sehr herzlichen Beziehung zu meinen Eltern und Schwestern natürlich – mit den Erfahrungen als Kulturveranstalterin, die ich im Kraftwerk Krummenau machen durfte.

 

Den erfreulichen Einzug der Kultur ins Rathaus Lichtensteig habe ich von Zürich aus natürlich gern beobachtet; ich arbeitete damals in der Fachstelle Kultur des Kantons Zürich. «Was ist dort los im Toggenburg?», haben mich meine Kolleg:innen gefragt, als hätte ich damit etwas zu tun. «Wer steckt dahinter? Wie ist das möglich?» Das Konzept des Rathauses hat in der Kulturförderung rasch die Runde gemacht. Es ist – auch oder gerade aus städtischer, kulturgesättigter Sicht – ein sehr innovatives Projekt.

 

Das Rathaus für Kultur ist kein herkömmliches Kulturlokal. Es geht hier auch, aber nicht nur ums Veranstalten, und es geht um mehr als das fertig gestellte künstlerische Werk. Es wird grossen Wert gelegt auf den Prozess, das Erschaffen und Ausprobieren.

Wichtig ist die Zusammenarbeit. Und dabei ist die Verbindung verschiedener Kunstsparten genauso willkommen wie «interdisziplinäre Projekte», wie es in Kulturfördersprache heisst: eine Kooperation zum Beispiel mit der Wissenschaft, Kochkunst, einem Handwerk oder anderen – zumindest auf den ersten Blick – kunstfernen Bereichen.

 

Allgemein schien uns in Zürich, als herrsche im Rathaus für Kultur eine beneidenswerte Freiheit und Unbekümmertheit. Ideen werden mit Leichtigkeit ausprobiert, aber auch mit Konsequenz weiterverfolgt, wenn es passt.

 

Maura Kressig erzählt mir bei einem gemeinsamen Mittagessen in Lichtensteig letzten Monat: «In unserer Generation gab es nur wenige junge Menschen, die kulturell etwas auf die Beine stellen wollten, und nur wenig Angebot für junges Publikum.» Sie und ihre Freundin Sirkka Ammann wollten dies ändern und gründeten bereits als Kantonsschülerinnen «Arthur Junior» (die junge Ausgabe von arthur Kunsthalle(n) Toggenburg) und organisierten jährlich eine eigene Ausstellung. Sie zeigten die Arbeiten vorwiegend junger Künstler:innen an immer wieder neuen, auch ungewöhnlichen Orten.

 

Besonders gefiel ihnen das ortsspezifische Arbeiten; die jungen Kurator:innen und die eingeladenen Künstler:innen liessen sich vom Ort, wo eine Ausstellung gezeigt werden sollte, beeinflussen. Das fällt leichter, wenn sich die Kunstschaffenden länger am Ort aufhalten und ihre Werke idealerweise vor Ort erschaffen können. So begann der Wunsch nach Atelierplätzen für Gastkünstler:innen zu wachsen. «Arthur Junior» machte sich auf die Suche nach geeigneten Räumen und wandte sich auch an Matthias Müller, den Stadtpräsidenten von Lichtensteig. Den Rest der Geschichte kennen Sie wahrscheinlich: Die Stadtverwaltung hatte den Auszug aus dem Rathaus zu dieser Zeit schon geplant und bereits Ideen diskutiert, wie das Gebäude weiterhin öffentlich genutzt werden könnte.

 

Das Konzept, welches eine stetig wachsende Gruppe an Kulturschaffenden dem Lichtensteiger Gemeinderat bald darauf einreichte, sah in der Wohnung im obersten Stockwerk des Rathauses fünf Gastzimmer mit Gemeinschaftsraum vor: die «Dogo Residenz für neue Kunst». Sie trägt heute entscheidend dazu bei, dass das Lichtensteiger Rathaus für Kultur bis zu meinen Kolleg:innen in Zürich und weit darüber hinaus bekannt geworden ist. Jährlich bewerben sich Hunderte aus dem In- und Ausland um einen Aufenthalt in Lichtensteig. Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl der Gastkünstler:innen ist ihre Motivation an der Arbeit vor Ort, ihr Interesse, mit der Umgebung und den Menschen im Städtchen in einen Austausch zu treten. Idealerweise führt dies zu gegenseitiger Inspiration.

 

Die Gäste der Dogo Residenz bilden ein sich stetig erneuerndes pulsierendes Herzstück im ehemaligen Verwaltungsgebäude, das wie gewünscht der Öffentlichkeit weiterhin offensteht. Es verfügt über zahlreiche mietbare Ateliers, Veranstaltungs-, Probe- und Ausstellungsräumlichkeiten sowie einen gastronomischen Betrieb, der im Sommer nach draussen zügeln kann. Regelmässig wird ein vielfältiges Kulturprogramm geboten. Dies alles kann nur stattfinden, weil sich das Rathaus ein grosses Netz an «Helfer:innen» geknüpft hat, die regelmässig zu gemeinsamen Essen u.ä. eingeladen werden. Beim Treffen mit Maura habe ich in mein Notizheft «Gastfreundschaft» notiert und doppelt unterstrichen, gleich wie das Stichwort «Bilden von Banden». Ich bin mir sicher, dass im Rathaus für Kultur mindestens so viele Weichen in Richtung Kultur gestellt werden wie damals bei uns im Kraftwerk Krummenau. Maura Kressig selber ist vor zwei Jahren von Zürich zurück ins Toggenburg gezogen. «Heute gibt es hier viele, die kulturell etwas bewegen wollen», sagt sie. In Lichtensteig ist viel passiert.

 

Das altehrwürdige Rathaus, das Städtchen, die Region, der Kanton … haben grosses Glück gehabt – dass es im Toggenburg junge Menschen gibt, die kulturelle Lücken nicht nur beklagen, sondern sie mit grosser Gestaltungslust füllen, die gern Neues ausprobieren, eigene Ideen haben und diese mutig umsetzen, die die Zusammenarbeit suchen, sich freuen, wenn die Gruppen divers zusammengesetzt sind und stetig wachsen.

 

Liebe Maura, liebe Sirrka, lieber Hanes, lieber Philipp, liebes ganzes Team des Rathauses für Kultur

Ich gratuliere euch herzlich zum hochverdienten Anerkennungspreis der St.Gallischen Kulturstiftung.

https://rathausfuerkultur.ch/