Pic hat in seiner 42-jährigen Bühnenpräsenz als Clown, Verzauberer und Poet sein Publikum bezaubert. Seinen Heimatkanton St.Gallen hat er als sympathischer Botschafter in die ganze Welt hinausgetragen. Pic ist ein Markenzeichen geworden. Legendär sind seine Auftritte beim Zirkus Knie, nachhaltig hat er den Zirkus Roncalli geprägt und auch mit seinen Soloprogrammen spielt er sich in die Herzen der Menschen. Er ist über 6000 Mal aufgetreten auf Bühnen zwischen Moskau und Utrecht und von Schweden bis Senegal. In St.Gallen hat er sich immer wieder für soziale und gesellschaftliche Projekte engagiert und diese erfolgreich umgesetzt.
Die St.Gallische Kulturstiftung würdigt mit dem Grossen St.Galler Kulturpreis 2010 Pics vielfältiges, künstlerisches Schaffen und dessen grosse Ausstrahlung als Clown, Verzauberer und Poet.
Die Laudatio ist (noch) nicht vorhanden.
Meine Damen und Herren, liebe Freunde. Als wir auf der zweiten Tournee mit dem Zirkus Knie nach St.Gallen kamen, hat es stark geschneit. Das lieben Zirkusarbeiter gar nicht, weil es schwierig ist, das Zelt aufzubauen. Wenn sie das Zelt oben haben, wird die Heizung auf vollen Touren laufengelassen, damit der Schnee gleich wieder schmilzt, wenn er aufs Zelt kommt. Am Nachmittag der ersten Vorstellung bin ich dann zum Garderobewagen gegangen und es war sehr kalt da. Ich habe sofort die Heizung angeworfen, aber nach einem kurzen Moment war sie aus, weil die Gasflasche leer war. Im selben Moment stand ein Reporter vom lokalen Radio da und fragte mich: „Ja, wie ist es denn, mit dem Zirkus in St.Gallen zu sein?“. Ich habe geantwortet: „Es schneit in St.Gallen“.
Natürlich freue ich mich sehr über diesen schönen Preis und möchte mich herzlich bedanken dafür. Ich möchte mich auch bedanken, bei allen die hier vorne gestanden haben. Gülsefa Dogan für den wunderbaren Gesang, Michael Naef und seinen Leuten. Selbstverständlich auch der Begleitung von „le saint fa“. Michael Naef und seine Leute haben extra den Galopp einstudiert für heute, von Schostakowitsch, vielen Dank. Dann Jürg Kesselring, Peter Kleger und Hanspeter Wider für die so schöne Laudatio, vielen Dank. Dann möchte ich mich bei meiner Crew bedanken, die mit mir unterwegs ist. Das ist für Licht und Mitarbeit Lorenz Knöpfli, für den Ton Pierre Bendel und für die Bühne Claudio Brisotto. Vorher hat das 25 Jahre lang Martin Steiner gemacht und 25 Jahre dauert auch die Zusammenarbeit mit meiner Agentin Marilies Düsterhaus. Dann Dank an meinen Bruder Fritz, der viele Jahre mein künstlerischer Berater war. Manchmal auch Ko-Autor oder Regisseur. Dank an meine Tochter Jil für die Anteilnahme und Dank an meine liebe Pascale, für ihre Unterstützung, auf die ich seit so vielen Jahren zählen darf.
Nun, was hat mich denn inspiriert. Angefangen hat es damit, dass in St.Gallen der Zirkus Pilatus stand. Da waren drei Clowns, ein Klassisches Trio. Dass heisst, zwei August und ein Weissclown. Und die haben mich verzaubert. Ich bin nach Hause gekommen und habe gesagt, so etwas möchte ich werden. Und vor ein paar Jahren habe ich von einem Zirkuskenner erfahren, wer das eigentlich war. Das waren sehr gute Clowns. Das war Max van Enden, der Langjährige und beste Partner von Grock. Das war Pionoque, der später in Amerika auf dem Hochseil über den Löwenkäfig gelaufen ist. Dessen Wunsch es übrigens war, in der Manege zu sterben und sein Wunsch ist ihm mit 77 Jahren in Dortmund in einer Vorstellung in Erfüllung gegangen. Und der dritte war klein Helmut, der später bekannt wurde in der Fernsehserie Salto Natale. Dann hatte mein Bruder Fritz, bei dem ich mich vorhin bedankt habe, einen 16 Millimeter-Projektor und ein paar wenige Kurzfilme. Und neben Fips der Affe, hatte er Carlo als Feuerwehrmann. Und den schauten wir uns sehr oft an. Wir haben mit ihm gelacht, wir haben mit ihm geweint, und da begann meine grosse Liebe für Chaplin. Denn man kann ja alles lernen über Komik bei Chaplin. Vielleicht ein kleines Beispiel, das so genannte double Image. Ein Bild, das zwei oder mehrere Bedeutungen hat. Also Chaplin bekommt von seiner Verlobten einen Brief. Sie schreibt ihm, dass sie ihn verlässt. Im nächsten Bild sieht man Chaplin von hinten. Es schüttelt ihn, man denkt, er weint. Er dreht sich aber um und hat einen Schüttelbecher in der Hand, er mischt sich einen Cocktail. Dann lernte ich bald einmal die Arbeit von Carl Valentin kennen. Sein Umgang mit der Sprache und sein skurriler Humor haben mich sehr begeistert. Und schon ein paar Jahre später nahm ich mit einem Schulfreund zusammen an einem Amateur-Artistenwettbewerb teil und wir spielten in eigenen Sketchen den verflixten Notenständer von Carl Valentin. Es war sehr schön für mich, Jahre später das erste Gastspiel in München in Tams zu machen, bei Anette Spoiler und Philippe Arp in ihrem Theater. Denn sie spielten dort Valentinari, also Valentin nachempfundene Sketche. Und es war auch sehr schön für mich, noch viele Jahre später, ein Jahr lang mit einem anderen Nachfahren von Carl Valentin zu arbeiten. Nämlich mit Gerald Polt. Dann spielte man in St.Gallen im Kino Korso Jo-Jo von Pierre Retex, das ist eine Filmkomödie, die im Zirkusmilieu handelt. Und ich war hin und weg von der Art und Weise, wie es Retex gelungen war, so subtil und lustig eine Geschichte zu erzählen. Man spielte den Film eine Woche lang und ich war jeden Tag da. Ich weiss gar nicht mehr, wie ich mir das finanziert hab. Wahrscheinlich war das der Moment, wo ich im Juniorheftchen meinen Occasionsplattenspieler zum Verkauf angeboten habe. Als ich in Paris studierte, als ich in der Theaterschule von Jacques Leqoc war, in Paris, da machte Pierre Retex einen Abstecher zum Theater und ich ging zu seiner Premiere, Aqua en joue, im Theater Eberten. Das Stück handelte vom Abriss des Cirque Medrano. Der Cirque Medrano, wo noch Passarciten und Cener Dolli aufgetreten waren. Und nach dem Auftritt holte ich das einzige Autogramm meines Lebens. Jahre später standen wir mit Knie in Nyon auf dem Güterbahnhof. Also die Wohnwagen standen auf dem Güterbahnhof und es klopfte an meine Türe – und es war Pierre Retex. Er hatte am Abend vorher die Zirkusvorstellung besucht und wir konnten an einem warmen Septembertag im freien auf dem Güterbahnhof in Nyon zusammen Mittag essen.
Dann waren wir einmal in einem Sportlager mit der Schule in Tenero und da sah ich ein Plakat von Dimitri. Er spielte damals in einem Kellertheater in Ascona. Ich machte mich am Abend aus dem Staub und während dieser Vorstellung gab es einen magischen Moment. Drei, vier Sekunden stand die Zeit still. Es gab eine Verschmelzung oder Verbindung zwischen Publikum und Akteur, es war unglaublich. Und seither bin ich auf der Suche nach solchen Momenten. Mit der Zeit kamen die Inspirationen mehr aus dem Leben. Zum Beispiel sprach meine Tochter nicht gerne Englisch mit mir, sie sagte: „Du kannst es nicht, du weisst ja, deine Aussprache!“. Da bin ich ins Dach hochgegangen und habe einen alten Englischkurs runtergeholt und hab eine Kassette eingelegt, lag am Boden. Während diesem Kurs hatte ich das Gefühl, die Englischlehrerin spricht mit mir. Und daraus wurde eine Szene, die dann hiess Englisch für Anfänger. Wo ich mich in die Stimme der Englischlehrerin verliere, verliebe und am Schluss mit einem langen weissen Bart dasitze. Mit der Zeit wurde die präzise Beobachtung wichtiger. Vor allem bei der Arbeit mit Masken, zusammen mit dem emotionalen Gedächtnis und auch dem genauen Zuhören. Man hat ja manchmal das Glück, im Zug zu sitzen, und vom Nebenabteil hört man ein Gespräch und man kann einfach mitschreiben. Glück und Zufall gehören zur Inspiration. Dann ist es manchmal ein Text aus den Medien.
Bei der ersten Tournee im Knie hatte ich mit einem Schmetterling gearbeitet. Gut, der Schmetterling wurde von einem Nilpferd gespielt. Für die zweite Tournee fehlte mir noch eine Szene mit einem Tier, denn man möchte ja profitieren von der reisenden Tiershow und dass es die Möglichkeit gibt, überhaupt mit einem Tier einen Auftritt einzustudieren. Und da las ich einen Artikel über Hühnerzucht. 6000 Hühner in einer Halle und die leben sechs Wochen. Jedes Huhn hat ein A4-Blatt Platz und nach sechs Wochen werden sie geschlachtet. Und da hatte ich das Bedürfnis, dem Huhn zu Ehren eine Szene zu machen. Und das wurde dann die Szene Aus dem Leben eines Huhns.
Dann passiert es manchmal in der Improvisation, dass die Inspiration kommt. Oder im Dialog mit der Person, die zuschaut oder mit der man die Nummer einstudiert. Aber die Improvisation ist sehr dankbar. Es gab auch Momente, wo die Musik die Inspiration war. Ich habe mal eine Schallplatte zugeschickt bekommen, von Lidi Ofre. Das ist eine französische Akkordeonistin. Sie hatte eine Vorstellung in Hannover besucht im Zirkus en Calle und hatte mir auf dieser Platte ein Stück gewidmet. Dieses Musikstück war wiederum dann die Basis für eine Szene, die Tanz der Kreaturen hiess. In den letzten Jahren ist Croque für mich mehr und mehr eine Inspiration geworden, weil er ein Leben lang an der gleichen Stunde gearbeitet hat. Er hat verfeinert und reduziert. Er hat jeden Tag denselben Abend gespielt, aber jeden Tag neu geboren. Das versuche ich im Moment mit dem jetzigen Theaterabend. In wie weit die Krankheit meines Vaters, die unsere 6-Köpfige Familie peinigte, wie weit die Trauer und der Schmerz darüber eine Inspiration war, ist für mich schwer zu sagen. Jedenfalls merkte ich bald einmal, dass Komik den Winkel vergrössert. Aber ich wurde auch wahrscheinlich dadurch sensibel auf die Art des Lachers, worüber wird gelacht. Und wahrscheinlich hat das auch das Bedürfnis vergrössert, der Realität noch ein kleines Stück anzusetzen.
Ich freu mich sehr, dass Sie heute hier her gekommen sind und ich möchte Ihnen danken.
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