Peter Surber leistet seit über vier Jahrzehnten mit seinen präzisen, ehrlichen und fundierten Besprechungen, Kommentaren und Interventionen bedeutsame Beiträge zum kulturellen Leben. Ob lokal, regional oder kantonsübergreifend: Das eine ist ihm so lieb und wichtig wie das andere. Aufmerksam, uneitel, unaufgeregt, aber auch hartnäckig und unbequem rezensiert er Aufführungen und Werke (fast) aller Genres, ordnet Entwicklungen ein und eröffnet neue Sichtweisen und Vernetzungen. Wo Gegenrede nötig ist, hält er diese oder richtet Plattformen für die Beteiligten ein.
Beobachter, Vermittler, Erklärer und skeptischer Optimist: Surbers Wirken gilt einem Kulturbegriff, der mit subtiler Mehrstimmigkeit die Welt verstehen und bessere Verhältnisse schaffen hilft – bis hin zum Wissen, wo man zuhause sein könnte.
Thomas Birri
Es gilt nun also, das Schaffen von Peter Surber zu loben, zu anerkennen, zu preisen. Wortstarken Menschen wie Peter Surber wird man am ehesten mit einem Gedicht gerecht. Am besten mit einem Gedicht wie das folgende, das dem Preisträger wie auf den Leib
geschrieben scheint.
Richard Pietrass
aus dem Gedichtband Notausgang (1980)
Der selber Denkende nimmt seinen Kopf ernst
Er tut und traut auch anderen zu
Reden hört er als unerhörte
Gedanken eines anderen Denkenden
Anders Denkende sind ihm willkommen für Denkmäler
gibt er seinen Kopf nicht her
Sein Verhältnis zu Pferden ist zügellos wie sie
findet er seinen Weg ohne Kutscher
Wo er auftaucht lässt er sein Bildnis entfernen
So nähert er sich denen auf die es ankommt.
Seit über vier Jahrzehnten nähert sich Peter Surber denen, auf die es ankommt …
(Günter und Emmi stürmen auf die Bühne)
Günther: Ach, mmn, ahnnngh. Frechheit. Unverständlich. Das wird Ärger geben.
Emmi: Was ist los? Was nervt dich schon wieder?
Günther: Dieser Preis der St.Gallischen Kulturstiftung. Offenbar schiere Verzweiflung. Jetzt zeichnen die schon Journalisten aus. Als ob es im Kanton keine Schauspielerinnen, Bildhauer, Comiczeichnerinnen, Drehbuchautoren, Komponistinnen, Trompeter was weiss ich mehr gäbe…
Emmi: Also soviele von denen gibt’s nun auch nicht. Also ein Journalist, hm, gibt’s von denen denn noch grosse? Moment sicher ein toter, Meienberg? Josef Osterwalder? Barbara Hasler?
Günther: Nein, nein, Sauber steht da, ähm, sorry, wacklige Handschrift: Surber.
Emmi: Surber? Also bitte, das ist doch ein bekannter Name in der Gegend. Gibt’s mehrfach, und alle prägend. Eigentlich ein Clan mit vielen Köpfen, Zungen, Händen. Surber heisst zum Beispiel unsere künftige Regierungsrätin. Wird vielleicht ihr Bruder ausgezeichnet, der ist doch Journalist, wie heisst er noch, Kaspar?
Günther: Nein, es soll der Onkel sein. Peter. Peter Surber, Kürzel Su. Su Punkt.
Emmi: ha, der Onkel. Ein Kulturonkel… Also den ich kenne zumindest vom Hörensagen.
Günther: Und ich hör dich sagen: wieder ein alter weisser Mann. Gähn…
Emmi: Schon gut, lass es, in diesem Fall nicht nötig. Ich kenn ihn nicht gut, aber gut genug, um zu wissen, dass er ein Feminist ist.
Günther: Was bitte?
Emmi: Ein Feminist, und zwar ein sehr früher. Wollte Teilzeit arbeiten zugunsten seiner Frau, als das noch kein Thema war und schon gar nicht beim St.Galler Tagblatt. Und eine Freundin hat mir geflüstert, dass er und seine Frau bei der Hochzeit die Brautkleider getauscht hätten. Vor über 40 Jahren! Und wovon handelte einer seiner ersten Artikel, 1987? Von der ersten Frauenlandsgemeinde in Trogen…
Günther: Hopplaschorsch, der war früh dran. Ein Feminist Journalist im Brautkleid… hm. Und dafür kriegt er einen Preis?
Emmi: Nein, Dummerchen. Für seinen Kulturjournalismus…
Günther: (sinniert, greift sich an den Kopf). Oh, jetzt fällts mir ein werwer das ist. Der mit dem kritischen Blick! Wie alle sagen. Ich glaub ich hab mit dem mal Fussball gespielt. Zäher Bursche, hab ihn als Verteidiger in Erinnerung, gab nie auf, war kein Vorbeikommen… Aber sehr mannschaftsdienlich, hatte immer das Auge für den Mitspieler. Also damals, jener Pass auf…
Emmi: Hey, bitte. Als ob wir hier über Fussball reden würden. Gib mir doch mal den Umschlag mit dem Dossier, der uns zugesteckt wurde.
Günther: (sinniert weiter) … Vom Typ her Gärtner, stand- und wetterfest. Hab ihn noch paarmal in Bahnhofsnähe getroffen, mit seiner Allwetterjacke, grobes Schuhwerk, schwere Tasche…
Emmi: Hopp, hopp, Das. Dossier. Das Publikum wartet, wir sollen ihn ehren. Günther: Schon gut… (greift zum Umschlag). Aber der will das doch gar nicht. Bescheidener Typ. Uneitel. Lieber Beobachter im Hintergrund als selber im Rampenlicht. Mit dem kritischen Blick, sag ich doch.
Emmi: Also, lass mal schauen. Hier stehts doch: Der Inbegriff eines Kulturjournalisten, wenn es je einen St.Galler Feuilletonisten gab… Vierzig Jahre. 25 Jahre Tagblatt, 10 Jahre Saiten. Schätzungsweise 5837 Artikel bis zur Pensionierung im letzten Jahr, und das sind nur die mittleren und längeren. Tagestexte, Vorschauen, Literaturkritiken, Theaterbesprechungen, kulturpolitische Analysen, Architekturbetrachtungen, Naturbeobachtungen, gesellschaftskritische Einlassungen, Essays, Seitenblicke, Kommentare…
Günther: Was sich in einem Journalistenberufsleben halt so zusammenläppert. Jeder tut sein Bestes. Was ist denn Surbers Bestes?
Emmi: Bestes, Schlechtestes, das gibt’s bei Surber nicht. Der interessiert sich nicht für Ranglisten und schon gar nicht für das Däumchen-rauf-runter-Getue.
Günther: Klingt gut. Über wen hat er denn so geschrieben?
Emmi: Über alle. Wirklich alle. Guck mal: Über Morger und Marthaler, Jelinek und Handke, Rittmeyer und Stahlberger, Schweikert, Walser, Weber, Widmer, Wunderlin, Elmiger, Ullmann, Umbricht, Uzor, Ulrich Bräker und Rainer Stöckli, Rudolf Lutz und Werner Lutz, Helen Meier – und all die Haslers, Eveline, Ludwig, Etrit, all die Signers, Roman, Steff, Werner… Und da kommt erst das Theater, all die Schauspieldirektoren: Von von May bis Brüesch… Und vor allem: Peter Schweiger. (kleine Pause.) Was wäre das Theater St.Gallen ohne Surbers kritische Begleitung? Undenkbar. Steht hier auch so im Dossier.
Günther: Am liebsten schrieb er ja –
Emmi: Schreibt, mein Lieber. Er schreibt weiter. Lies. Das. Saiten. Sag ich dir seit Jahren. Hat er dort nicht einem, der dir so gleicht, von dir eine scharfe Kolumne auf den Leib geschrieben, «Schäfers Kunde»?
Günther: Der geht mir langsam auf die Nerven, dieser Doppelgänger… Am liebsten schreibt Surber ja über Katastrophen. Wenn die Welt am Abgrund steht. Ob in unserer Region. Oder überhaupt.
Emmi: Nicht am liebsten, sondern weil er muss. Also am dringlichsten. Am ernsthaftesten. Am verbindlichsten. Wenn etwas auf dem Spiel steht, das ihm lieb ist.
Günther: Verbindlich schreibt er immer. Und er ist keiner, der es sich und uns zu einfach macht. Nie affektiert, nie modisch, nie billig gefällig. Immer sehr präzis, klar, tiefgründig erhellend. Was ich mit den Katastrophen meine: 1994, also vor fast 30 Jahren, schreibt er unter dem Titel «Ein Ja für die geistige Mobilität»: «Wo man hinsieht: Barbarei. Nachbarn schlagen einander die Köpfe ein. Religionsgruppen bekämpfen sich. Stämme schlachten andere ab. Die Menschheit hätte am Ende des zweiten Jahrtausends ziemlich auf jedem Fleck des Erdballs Kultur-Förderung nötig. Wir Schweizerinnen und Schweizer sind in der privilegierten Lage, uns diese selbst verordnen zu können: mit einem Ja zur Verankerung eines Kulturförderungs-Artikels in der Bundesverfassung.» …
Emmi: Und? Hat Surbers Empfehlung geholfen?
Günther: Das sogenannte Stimmvolk lehnte ab.
Emmi: Wie so oft, die Kultur auf verlorenem Posten. Aber bei der Lokremise nützte seine Fürsprache?
Günther: Für die trat er vehement ein:
Emmi: Mehr Zug für die Kultur! Schrieb er. «Raum ist nicht alles, aber ohne Raum ist alles nichts. Daher setzt die kantonale St. Galler Kulturpolitik zu Recht auf Infrastruktur-Förderung: mit der Lokremise, mit dem Kunstzeughaus in Rapperswil oder dem geplanten Klanghaus im Toggenburg.»
Günther:… Was einst Eisenbahn und Industrie waren, ist heute die Kultur: das wichtigste Transportmittel für Ideen, Werte, für Lust, Geist, Streit und Humor. Diesem Transportmittel eine attraktive Lokremise zu bauen, ist ein guter Zug.» schrieb er.
Emmi: Den Menschen etwas zutrauen. Dass sie selber denken! Das gilt sogar für Raser. Da schau mal, dieser Surber-Titel «Halt. Stop. Bremsen.» Da schreibt er, 2008, eine Tirade, nachdem drei junge Männer im Solothurnischen eine Frau zu Tode gefahren haben. Abscheulich. Aber er teilt nicht einfach aus gegen die Typen mit ihrem Männlichkeitswahn und ihrem «lackierten Kampfhund». Nein, er wird, auch wenn sein Zeitungstext pressiert, nachdenklich: «… die Diskussion um die Raser ist so lange scheinheilig, als wir uns nicht eingestehen: Wir, die Gesellschaft, die Industrie, aber auch wir Käufer, wir Krampfer, wir Gehetzten, wir sind alle Teil einer Turbo-Gesellschaft, die Werte wie Geschwindigkeit und Leistungsfähigkeit idealisiert und verabsolutiert. Und die sich daher nicht wundern muss, wenn es Auswüchse gibt. Und Tote.»
Günther: Wow. Warum lesen wir nicht einfach eine Stunde lang Surber-Texte? Allein sein letzter, zur „Ginsterlogik“…
Emmi: Ja, könnten wir. Wie gesagt will er das doch gar nicht, diese ganze Ehrung, dieses Lob Lob Lob. Du weisst doch: Wenn du ihn umarmen willst, beisst er dich ins Bein.
Günther: Hä? Ist ein Aeronauten-Song. Nicht seine Welt.
Emmi: Obwohl: Er trug doch jahrelang das «Sag alles ab» auf der Brust. Von Tocotronic.
Günther: Übrigens singt er auch. Keinen Rock. Chorgesang. Am liebsten Kirchenmusik, slawisch, hiesig, Gregorianik. Singen zu Gott! Nichts tue er lieber. Singen – und zu Fuss in der Natur unterwegs sein. «Schwere Schuhe, leichter Witz», noch so ein Titel, über einer Robert-Walser-Collage… Seit jüngstem schreibt er sogar eigene Liedtexte, «Cevennenlieder», Co-Kompositionen mit seinem Zwilllingsbruder Jürg.
Emmi: Die gibt’s doppelt? Oh je. Aha, drum hat er mich neulich nicht gegrüsst, als ich ihm zugewunken habe. War wohl der andere. Zwillinge… Kein Wunder, sprechen manche von der Surber-Mafia.
Günther: Cosa nostra, «uns trennt nur das Goldachtobel», Peter in Trogen, Jürg in Wald, Ausserrhoden. Dorthin zog es ihn schon früh. Rosa Nostra hiess sein erstes Kulturengagement, 80er-Jahre in der Rose Stein, Veranstaltungen für den zivilgesellschaftlichen Aufbruch…
Emmi: Aha. Hat sich nach Trogen verzogen, aber das Kulturengagement immer durchgezogen. Oder?
Günther: Ja, hätten wir fast vergessen. Steht ja auch alles im Dossier: Kulturlandsgemeinde. Kulturstiftung. Kulturrat. IG Kultur OST. Verein Das Haus für die freie Szene… Alles undenkbar ohne Surber.
Emmi: Alles für die Kulturgemeinschaft! Schaffiger Kulturnaturbursche! Woher nur hat er diesen Fleiss?
Günther: Protestant halt. Wie alle Surbers, gemäss Familienchronik aus «Bürlin an der Surb». Zürcher Protestanten.
Emmi: Aber er ist schon St.Galler? Immerhin schenken wir ihm 10000 Franken St.Galler Steuergeld, also bitte.
Günther: Ja, ja, Ur-St.Galler, Immer-St.Galler, Super-St.Galler. Direkt neben dem Espenmoos aufgewachsen. Zaungast beim FCSG. Und sogar an der Olma. Hier, ein Gasttext in der „Weltwoche“, Oktober 2000, nachdem die Halle 7 abgebrannt war: «Ein rechter St.Galler hat wenigstens einmal während der Schulzeit an der Olma gearbeitet. … Das höchste der Gefühle war eine Anstellung in jener Degustationshalle 7. Mir reichte es nur bis zum Bratwurst-Brater an einem der Stände auf dem Areal. Lohn für die schweisstreibende Mühe sollte nach Grillschluss ein Abstecher in die Halle 7 sein, Speerspitze und Wurmfortsatz der Messe und Ziel aller Träume.»
Emmi: (oh, wow, lass mich mal) … «Der Traum war ein Alptraum. Rücken an Hintern an Bauch eine einzige «Troggete». Qualm, Bierdunst, weissweinversetzt, Alkohol- und Lärmpegel im Wettstreit. Kein Durchkommen in den engen Gängen. Blieb nur die Flucht. (…) Seither verband die Halle 7 und mich eine vermutlich gegenseitige Abneigung. Und Faszination zugleich, Neid auf alle jene Siebenmaltüchtigen, die sich hier wohlig einnisteten, sich Jahr für Jahr «em föfi im Sibni» verabredeten; all jene, die diese leicht frivole sankt-gallische Kunst des Time-out beherrschten.
Günther: … diese leicht frivole sankt-gallische Kunst des Time-Out. Kann nur ein St.Galler so schön frotzelnd schreiben. Typischer St.Galler!
Günther und Emmi gemeinsam: Ein atypisch typischer St.Galler!
Emmi: Wenn es also mehr typische St.Gallerinnen und St.Galler wie Surber gäbe…
Günther: (…) Jedenfalls gäbe es dann endlich auch ein Haus für die freie Szene.
Emmi: Womit wir beim Preisgeld sind… Ob er das für sein Bewässerungssystem in den Cevennen einsetzt?
Günther: (Nicht unsere Sache.) Nun muss er wohl trotzdem noch ins Rampenlicht, er wird ja wohl seinen Alibi-Tschoppe angezogen haben.
Emmi und Günther: Machen wir es ihm noch etwas schwieriger, wenn wir ihm alle zurufen: Sauber, Peter, danke Surberpeter, danke Supersurber!!