Der St.Galler Künstler Peter Kamm wird mit dem Anerkennungspreis der St.Gallischen Kulturstiftung ausgezeichnet für seine seit Jahrzehnten geführte, intensive und differenzierte künstlerische Arbeit am Stein und im zeichnerischen Schaffen. Der Bildhauer entwickelt Formen, die den eigenen Gestaltungswillen in eine vielfältige Zwiesprache mit dem spezifischen Charakter des Steins – mit Vorliebe Sandstein – münden lässt und sich mit den Spuren seiner geologischen Entstehung, mit Sedimentierung und Komprimierung, mit Vertiefung und Ausstülpung verbindet und das anorganische Gestein als skulpturale Schöpfung ebenso wie als organisch Gewachsenes sichtbar macht. Im Zusammenklang von Härte und Weichheit, von Spannung und Entspannung, von Ausdehnung und Konzentration eignet den Skulpturen etwas Zeitliches und Wandelbares, das in der Begegnung mit ihnen eine Dimension existentieller, menschlicher Erfahrung öffnet.
Mächtig liegt er da, der Stein auf Dreilinden, wie ein Findling, und mit einer unbedingten Präsenz, doch zugleich in aller Selbstverständlichkeit, als hätte er schon immer dort gelegen.
Ausstülpungen und Buckel, Blasen und Warzen, Löcher und Höhlen, Bruchkanten und weiche Wölbungen prägen seine Aussenhaut und scheinen sich zugleich wie in einem dauernden Formations- und Transformationsprozess ständig neu zu bilden und umzuformen. Das Auge springt vom einen zum anderen, darauf hoffend, den Stein bei seiner Verwandlung zu ertappen.
Hier darf man auch mit den Händen schauen, über die Buckel streichen, in die Höhlen greifen, den Wellenlinien im Gestein folgen, die geschliffene und doch raue Oberfläche ertasten. Wie fast alle Werksteine bei Peter Kamm ist auch dies ein Sandstein und stammt aus der Eifel. Er ist geprägt von jenem warmen Ockerton mit den feinen braunen und rötlichen Linien, die den Stein durchziehen, sich wölben, aufrichten, falten und von seiner Entstehungsgeschichte erzählen, den Schichtungen feiner Sandkörner, den Kräften, die sie zusammengepresst und später verschoben, aufgewölbt, gefaltet haben.
Diese Präsenz des Steins in seiner Natürlichkeit und Geschichtlichkeit kennzeichnet Peter Kamms Skulpturen. Er tritt in eine Zwiesprache mit dem Stein, entwickelt einen Dialog zwischen der von ihm geschaffenen skulpturalen Gestalt und dem ursprünglichen Charakter des Steins. Dies mag einer der Gründe sein, weswegen er sich schon sehr früh für Sandstein entschieden hat. Ein „armer“ Stein, eigentlich eher zum Bauen als für die Kunst geeignet. Ein Stein auch, der sich nicht wie Marmor in schimmernde Haut oder fliessende Falten verwandeln und dessen Oberfläche sich nicht wie beim Granit zu spiegelnder Glätte polieren lässt. Immer bewahrt der Sandstein den Charakter seines Ursprungs, tastend spürt man, schauend erkennt man die Sandkörner aus denen er entstand und besteht und zu dem er wieder zerfallen wird – doch dazu später.
Bevor Peter Kamm vor ca. zwanzig Jahren zu seiner charakteristischen Formensprache gefunden hat, schuf er zunächst figurative Skulpturen.
Peter Kamm ist 1958 in Aarau geboren, seine Familie stammt aus dem Kanton Glarus. Ab Mitte der 60er Jahre wächst er im Kanton Thurgau auf. Er absolviert eine Lehre als Steinmetz, ausdrücklich nicht als Bildhauer, und nach dem Abschluss legt er sein Werkzeug vorerst zur Seite und zieht nach Basel. Es folgen die Sturm und Drang Jahre, er engagiert sich in der autonomen Szene, zieht 1979 nach Zürich und erlebt den Aufbruch der frühen achtziger Jahre. 1982 kommt er nach St.Gallen, in die Peripherie, wo es in Sachen alternativer Kultur (noch) nichts gibt. Er wird zum Mitgestalter des kulturellen Aufbruchs zu Beginn der 80er Jahre, organisiert mit Freunden das mobile Kino, das Kinoki, aus dem Kinok hervorgegangen ist, das heute ebenfalls geehrt wird.
Zur selben Zeit greift er wieder zu seinem Werkzeug und erhält bereits 1984 mit seinen ersten Skulpturen und 3 mal in Folge das eidgenössische Kunst-Stipendium.
Diese frühen Arbeiten sind geprägt von expressiver Figürlichkeit und der Ausdruckskraft des Fragmentarischen, Peter Kamm schlägt gewaltige Torsi aus dem Stein. Die Wucht, mit der diese Leiber einem auf den Leib rückten, werde ich nie vergessen. Eingebrannt in die Erinnerung hat sich ein liegender, sich windender und aufbäumender Torso, der sich halb noch aus dem unbehauenen Stein herauszukämpfen, halb bereits wieder vom Figürlichen ins Amorphe zurückzuverwandeln schien. Der Werkprozess, die Spuren von Hammer und Meissel, bilden einen integralen Teil des Werkes. Vergleichbar den Holzskulpturen seiner Zeitgenossen, wo die Wunden der Motorsäge unabdingbar zu Wirkung und Aussage gehörten. In diesem Sinne fügte sich Kamm in den Zeitgeist ein, doch im Gegensatz zu den Holzbildhauern, deren spontanem und wildem Schaffensprozess das Material weniger Widerstand leistete, zwang der Stein Kamm, ihm mit gewaltiger Kraft die Torsi und Gliedmassen seiner Figuren zu entringen.
Gleichzeitig ist jedoch der Künstler von Fragen und Unzufriedenheit gequält bezüglich der Möglichkeiten, in der Steinskulptur noch neue Wege zu finden; er schafft einige unfigürliche, integriert Schrift oder Farbe, kehrt wieder zu Figurfragmenten zurück. Zerstört vieles, auch Werke, für die er Stipendien erhalten hatte.
Den eigentlichen Durchbruch bringt die Verleihung des ersten Manorpreises in St. Gallen 1990. Ein Jahr lang arbeitet Kamm in einem neuen Atelier in Rorschach, direkt am Bodensee, an fünf Skulpturen, die 1991 im Oberlichtsaal des Kunstmuseums ausgestellt werden. Wie Korallenriffe die einen, aus dem See gehobene versteinerte Urwesen die anderen lagen sie da, aus statischen Gründen in einer Reihe; Furchen und Löcher, Röhren, Ausstülpungen und Faltungen prägen diese Steine.
Seither hat er konsequent und ruhig an dieser Sprache weiter gearbeitet, hat ihr immer neue Facetten aufgefächert. Hat sich eine eigenwillige wie einzigartige Position in der Skulptur der Gegenwart erschaffen.
Manchmal sehnt er sich danach, von anderen zu erfahren, die am selben forschen – das Solitäre ist seine Sache nicht. Die Verbindung zu anderen, der künstlerische, aber vor allem der allgemein kulturelle, gesellschaftliche und politische Kontext bilden den fruchtbaren und vielfältigen Urboden und Grund auf dem Kamm aufbaut und in dem er sich verwurzelt.
Dem Publikum gewährte er in der Kunsthalle Arbon und anschliessend im Kunsthaus Zug Einblick in dieses Universum, das zugleich Archiv und unstrukturierte Sammlung ist, aus Texten und Bildern verschiedenster Wissensbereiche, Beiträgen von Freunden ebenso wie eigenen Werken und gefundenen Materialien besteht. Auch die mit seinem Bruder Thomas in Katharinen gezeigte Ausstellung bot einen Blick in dieses Sich-Verbinden und -Verorten mit und in anderem. Immer wieder und seit Beginn taucht in seinen Titeln, manchmal auch eingraviert in die Steine sein intensives Lesen auf.
So bewusst sich Kamm der kunsthistorischen Entwicklungen in der Skulptur ist, so bewusst er danach strebt, darin einen ureigenen Weg zu gehen und zu öffnen, so wenig entsteht seine Kunst aus einer „art pour art“ Haltung. Die Einflüsse, die Anregungen, die geistige Auseinandersetzung passieren an verschiedensten Orten und in verschiedensten Kontexten. Und die Selbstbefragung, die von Zweifel genauso wie von trotziger Überzeugung getragen ist, anachronistisch zu arbeiten in einer Zeit, da sich die Kunst immer mehr entweder am Rechner zu entmaterialisieren, oder in masslosen Anhäufungen von vorhandenem Material zu ersticken scheint, während Kamm seinen Körper in der Arbeit am Stein schindet.
Der Anerkennungspreis wird Peter Kamm für sein skulpturales Schaffen verliehen, ohne dass daraus der Blick auf das Ganze, d.h. auch das zeichnerische Werk, die Verwurzelung in der schöpferischen „Ursuppe“ auszuschliessen wäre. Die Zeichnungen bilden einen Aspekt seines Schaffens, der mit dem Skulpturalen tief verbunden und zugleich völlig selbständig entsteht.
Die Anerkennung gilt insbesondere dem Resultat der Forschungen, eben jener Formensprache, die wie schon in jenem frühen Torso, Werden und Vergehen als Leitthema zu haben scheint. Die Entstehungsbedingungen der Skulptur beinhalten auch diejenigen des Steines selbst und damit auch die Vergänglichkeit, den Zerfall, die Auflösung zurück zum Sandkorn. „Ich möchte, dass sie verschwinden“, sagte er in einem Interview über die Steine im Skulpturenpark Schönthal – es gilt auch für andere Steine.
Es ist kein Abbilden, kein Kopieren geologischer oder biologischer Prozesse, was man in diesen Steinen erfährt, vielmehr scheint es ein Schöpfungsprozess zu sein, der, wie es einst Cézanne für die Malerei definierte, parallel zur Natur verläuft, der seine eigene Wirklichkeit erzeugt. So wirken die Steine von Kamm immer wieder, als ob sie auf natürliche Weise ihre Form erhalten hätten, und doch weiss man zugleich, dass dies nicht möglich ist. Sie leben von dieser Spannung, dieser Zwiesprache des Künstlers mit dem Material, der gewollten mit der gewachsenen Gestalt.
Historisches Bewusstsein – nicht im Sinne einer Rückbesinnung, sondern im Sinne dass sich Kamm nicht nur der Geschichte der Skulptur bewusst ist, sondern auch seine eigene Position darin reflektiert – und an sich den Anspruch stellt, einen genuinen Beitrag zu dieser Geschichte zu leisten, einen Weg offen zu halten, auch in einer Zeit, da Steinskulptur anachronistisch erscheint, und kaum wirklich Neues, Eigenständiges geschaffen wird.
Natürlich liessen sich Aspekte herausgreifen, welche diese Position in Bezug zur Kunstgeschichte stellen: die Einbeziehung des Raumes und der Leere beispielsweise, wie es Brancusi, Giacometti und Henri Moore formuliert haben, die Auflösung der geschlossenen Oberfläche wie bei Balzac von Rodin, oder wiederum Giacometti. Die Präsenz des Steines an sich, des Rohmatierials und seiner industriellen Gewinnung, wie es Rückriem formuliert hat.
Peter Kamm hat seinen Anspruch erfüllt, er hat eine Sprache entwickelt, die einzigartig ist.