Katja Schenker entwickelt auf der Basis von unterschiedlichsten Materialien und Räumen Energien und Spannungsfelder, denen sie sich physisch wie psychisch aussetzt. So transformiert sie prozessartig Materialien und Gegenstände in andere Zustände und Formen. Im Speziellen sind ihre Performences von so körperlicher und konzeptioneller Dringlichkeit und gleichzeitig vom Entstehen lassen geprägt, dass man sich beim Zuschauen diesem Prozess nicht entziehen kann und sich ein unmittelbares Mitgehen und Mitdenken einstellt. Für diese fokussierte und bewegte künstlerische Kraft in ihrem Werk, die sie mit vielen weiteren Ausdrucksformen wie Zeichnungen, Skulpturen, Installationen sowie Video und Fotografie zum Ausdruck bringt, ehrt die St.Gallische Kulturstiftung Katja Schenker. Sie erhält für Ihr herausragendes, sehr kompaktes und umfassendes Werk einen Anerkennungspreis.
Liebe Katja
«Reizen», so hiess eine der ersten Performences, die du 1999 gezeigt hast. Du gingst damals durch 60 Stoffstücke, indem du sie nacheinander in zwei Hälften zerrissen hast. Deine Performance hast du so beschrieben: «In der Halbdunkelheit unterscheidet sich das Geräusch des Zerreissens des Stoffes je nach Qualität und Grösse und der Art und Weise, wie ich ihn zerreisse. Ich werfe die beiden Hälften hinter mir auf den Boden. Der Boden wird allmählich in Farbe vergraben und der Spiegel mir gegenüber allmählich enthüllt.»
15 Jahre später zeigst du die Performance «vesuv». In «vesuv» drehst du dich um die eigene Achse und bringst einen an einem Seil befestigten Alabasterstein in immer schnelleres Rotieren. Seine Fliehkraft erfordert von dir immer mehr Energie und höchste Konzentration. Der helle Stein zeichnet auf dem Boden einen Kreis. Verunsicherung und Angst übertragen sich auf das Publikum. Was, wenn du den Stein nicht mehr halten kannst und er ins Publikum geschleudert wird? Und einige Jahre später sitzt du in einer Burg aus feuchtem Lehm und durchschneidest diesen mit einer darum herum gewickelten Schnur, die du in langwieriger und anstrengender Arbeit nach innen ziehst.
Was hier so einfach beschrieben wird und einen in Bann zieht, hast du in den letzten 22 Jahren deines Schaffens immer wieder vertieft. In der Zwischenzeit bist du eine der bekanntesten Schweizer Künstlerinnen deiner Generation und hast auch schon mehrere Preise für deine Arbeiten erhalten. Insbesondere als Performerin hast du dir über all die Jahre ein Werk geschaffen, das zu den interessantesten und eigenwilligsten der Schweiz gehört.
Katja Schenker entwickelt auf der Basis von unterschiedlichsten Materialien und Räumen Energien und Spannungsfelder, denen sie sich physisch wie psychisch aussetzt. Durch Umwickeln, Zerreissen, Ziehen und Zerschneiden und andere Tätigkeiten transformiert sie Materialien und Gegenstände in andere Zustände und Formen.
Was ihre Arbeit ausmacht, ist das fast bedingungslose, aber nicht experimentelle sich der Idee verschreiben. Es ist nicht Zufall, es ist eine äusserst intensive Auseinandersetzung mit dem Material, der Handlung und dem Prozess, den sie wählt. Es ist aber auch Geduld haben und Warten können, bis sich die Idee verinnerlicht hat und nach aussen drängt. Die sie kontrolliert und ihr dann doch bei der Realisierung neuer Prozesse Raum gibt.
Ihre Performances zielen auf grundlegende Veränderungen einer Situation ab. Stoffe geraten in Bewegung, werden aufgelöst, durchdrungen und wieder verfestigt. Mit Hilfe der körperlichen Kraft und der Ausdauer, die Aktion bis zu ihrem unvermeidlichen Ende durchzuhalten, gelingen Katja Schenker poetische Bilder mit deutlich gesellschaftlichen und politischen Zügen, wie dies Katharina Holderegger präzise im Kunstbulletin im November 2018 festhält. Den Zuschauenden verbirgt sich nur die intensive Vorbereitung der Künstlerin, aber nicht ihre Handlung mit dem Material oder der Umgang mit dem Prozess, den Auswirkungen ihrer Kraft auf das Material und umgekehrt.
Während der Performances gibt es keine Pause, kein Wasser trinken, kein Schweiss aus der Stirn streichen, oder eine Haarsträhne nach hinten binden. Nichts. So konzentriert wie Katja Schenker ist, bin ich beim Zuschauen plötzlich auch. Und dies nicht nur, wenn es um eine Performance geht, sondern auch, wenn sie andere bleibende Werke schafft, so wie die monumentale Kunst am Bau-Arbeit mit dem Titel «Wie tief ist die Zeit?» – ein über 11 Meter hoher und 2 x 2 Meter breiter Monolith. Er steht in der Fachhochschule Muttenz. Diese grosse Arbeit ist ebenso von körperlicher und konzeptioneller Dringlichkeit und gleichzeitig vom Entstehen lassen geprägt, dass sich auch die Zuschauer diesem Prozess nicht entziehen können, auch wenn er hier – wie bei dieser Skulptur – bereits vollzogen ist. Dort ist ihr ein Werk gelungen, das aus meiner Sicht all die genannten Aspekte ihres Schaffens verbindet:
– Ihre konzeptionellen Fähigkeiten
– sich einlassen in die verschiedenen materiellen Prozesse
– ein Durchhaltewille und vor allem ein eigenes «Handanlegen» in der Umsetzung
Und wenn ihre Arbeiten, sei es eine Performance, eine Skulptur in der Landschaft, ein Kunst am Bau-Arbeit oder eine Zeichnung, beendet ist, lässt sie sie los. Ihre Werke entstehen in engem physischen Kontakt und werden dann veräussert, abgenabelt, werden eigenständig. Aber was mich letztendlich beeindruckt, liebe Katja ist deine Anmut – sichtbar während deinen Aufführungen. Wie schon gesagt, einer Performerin darf man bei ihrer Arbeit zu schauen. Diese Klarheit, diese Konzentriertheit in deinen Werken ist nicht nur in der Performance erlebbar, sondern auch sichtbar in deinen weiteren Arbeiten. Diese Selbstverständlichkeit, wie du dich mit den Materialien und Handlungen ohne Worte verbindest, manchmal in ihnen aufgehst oder sie schnell auflöst, auf eine Art verwandelst und manchmal als Person vollständig im Zentrum bleibst. Wieder andere Werke sind von stiller Konzentration und bedächtiger Langsamkeit geprägt, bei denen du in den Hintergrund trittst. Damit geling es dir, das, was beim Betrachten von Bildern gespürt, gefühlt und gedanklich erfasst wird, in dein Schaffen von Bildern und Skulpturen zu übertragen. Du konstruierst nicht, sondern lässt etwas wachsen, etwas kommen.
Liebe Katja, du bist 1968 in St.Gallen geboren und trittst seit 1999 als bildende Künstlerin und Performerin auf. Der St.Gallischen Kulturstiftung ist es ein grosses Anliegen, dich mit dem Anerkennungspreis für dein gesamtes künstlerisches Schaffen zu ehren. Und damit meinen wir auch deine weiteren Arbeiten, auf die ich in dieser kurzen Zeit nicht eingehen konnte, die sich in andere Medien wie Zeichnungen, Skulpturen, Installationen, sowie Video und Fotografie ausdehnen.
https://www.katjaschenker.ch