St. Gallische Kulturstiftung

2019, Frühjahr

Francisco Obieta

  • aus Au
  • Anerkennungspreis über Fr. 15000.– für die Region Rheintal
  • Sparte: Musiker, Komponist, Dirigent

Urkunde

Geprägt von der argentinischen Musikkultur des Tangos, die auch als «Schmelztiegel der Kulturen» bekannt ist, bringt Francisco Pablo Obieta in unseren Breitengraden eher unbekannte musikalische Emotionen zur Aufführung. Ob als Solist am Kontrabass, als Dirigent, Arrangeur oder Schöpfer zahlreicher atmosphärischer Kompositionen bewegt sich der aus Argentinien stammende und im Rheintal lebende Musiker zwischen Tradition und Avant Garde ebenso gewandt wie zwischen sakraler Musik, Oper und beschwingtem Tango. Als Orchesterleiter und Dozent inspiriert er Jugendliche wie Senioren, Professionelle wie Laien mit seiner unermüdlichen Leidenschaft für die Musik und führt sie zu mitreissenden Interpretationen. Für sein umfassendes und vielfältiges Wirken würdigt die St.Gallische Kulturstiftung Francisco Obieta mit dem Anerkennungspreis.

 

Laudatio von Beat De Coi, Stiftungsrat

«Ich bin ein überzeugter Allrounder» hat mir Francisco Obieta gesagt, als ich ihn vor ein paar Wochen an seinem Arbeitsplatz in Feldkirch besucht habe. Ich frage Sie, geschätzte Anwesende, ist es möglich, ein überzeugter Allrounder zu sein und gleichzeitig in die höchsten Sphären der musikalischen Kunst aufzusteigen? Allrounder heisst ja, von allem ein wenig. Im Umkehrschluss könnte das ja auch heissen, nichts richtig! Nun, wir haben es mit dem Preisträger für den diesjährigen Anerkennungspreis der St.Gallischen Kulturstiftung mit einer absoluten Ausnahmeerscheinung zu tun. «Die Aufgabe des Musikers ist es, Emotionen, Ästhetik, Formen, Träume, Konflikte, Harmonien und alles, was das Leben bietet, in einer abstrakten Form den Mitmenschen zu schenken.» Dieses Zitat von Francisco Obieta beschreibt schön den Spannungsbogen, in dem sich ein Musiker befindet. Er erzählt sozusagen eine Geschichte, ausgedrückt in Tönen, Rhythmen und Phrasierungen.

 

Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick in die Biografie des Preisträgers werfen. Aufgewachsen ist Francisco Obieta in Buenos Aires in Argentinien. Sein Vater war Farming-Consultant, wir würden hier Bauern-Berater oder allenfalls auch Pferdeflüsterer sagen. So hatte er als Bub bereits früh einen Bezug zur Landwirtschaft. Er lernte reiten, bevor er Fahrrad fahren konnte. Aber auch die Kultur war im Hause Obieta omnipräsent und vielschichtig: Seine Mutter kam aus Italien, so sprach er mit ihr Italienisch. Sein Vater stammte aus dem Baskenland, so sprach er mit ihm spanisch. Seine Grossmutter war Französin, weshalb er sich mit ihr in Französisch unterhielt. Ist doch schon mal ein guter Start ins Leben, wenn man als Kind spielerisch drei verschiedene Sprachen lernt und gleichzeitig die kulturelle Vielfalt Europas. Übrigens, Francisco Obieta spricht neben der Sprache der Musik sechs Sprachen.

 

Aber wenn man Musiker eines Formats wie Francisco Obieta werden will, muss man über eine ganz besondere Eigenschaft verfügen. Man muss den Durchhaltewillen haben, etwas bis zur Perfektion zu üben. Zehnmal, hundertmal, tausendmal! Und wieder von vorn bis alles völlig natürlich und automatisch abläuft. Diese Ausdauer lernte er im Gymnasium von katholischen Priestern in einem Knaben-Internat in Argentinien. Zusammen mit 42 Schülern in einer Klasse, drei Parallelklassen, in einer Schule mit dreitausend Schülern. Wenn man in einem solchen Umfeld nicht untergehen will, muss man seinen Geist und seine Fertigkeiten aufs Äusserste trainieren. Sodass das Resultat sozusagen automatisch im Hirn erzeugt wird, ohne Nachdenken. Dazu später noch ein paar Worte.

 

Am Internat lernte er neben allen anderen Fächern für den Abschluss am Gymnasium Geige und Cello spielen. Er war aber als Jugendlicher auch Fan von den Beatles. Und weil das bei Rock und Rock’n’Roll so üblich ist, hat er dies auf einer Gitarre gespielt. Übrigens, die Musik der Rolling Stones empfand er als Lärm, wie er mir im Vertrauen gesagt hat. Nach dem Internat studierte Francisco Obieta, den familiären Wurzeln folgend, Agraringenieur. Doch er musste das Gras wachsen gehört haben. Denn die Musik hatte es ihm angetan. Über einen Freund der Familie, ein begnadeter Jazzpianist, kam er über den E-Bass zum Kontrabass und spielte ab und zu an Jam Sessions. Das war einigermassen einfach als Amateur zu dieser Zeit, wie er sagte. Denn wenn man den Bass zupft, wie das im Jazz üblich ist, genügt für die Fingerposition eine Genauigkeit von einem Millimeter. Man hört Abweichungen nicht, zumindest wenn man nicht über ein äusserst gut geschultes Ohr verfügt. Beim Spielen mit Bogen in der Klassik muss man auf einen Zehntelmillimeter genau greifen, wie er mir erklärte. «That makes the difference!»

 

Nachdem Francisco Obieta mit 25 Jahren bereits zwei Hochschulabschlüsse in der Tasche hatte, waren für ihn viele Türen offen. Er hätte im elterlichen Betrieb arbeiten und diesen vielleicht einmal später übernehmen können. Doch der Zufall wollte es und Musiker der Yehudi Menuhin Akademie hörten ihn an einem Konzert Kontrabass spielen. Daraufhin wurde er von ihrem Leiter in die Schweiz eingeladen. Mit einem Stipendium in der Tasche kam er nach Gstaad an ebendiese Yehudi Menuhin Akademie und ging alsbald als Solobassist mit dem «Camerata Lysy-Gstaad» und anschliessend mit dem Berner Kammerorchester auf Tournee. Durch die Liebe mit einer Berner Musikerin blieb Francisco Obieta dann in der Schweiz, genauer gesagt im Rheintal, hängen.

 

Das Schaffen des Preisträgers zeichnet sich durch Beständigkeit und Vielseitigkeit auf höchstem Niveau aus. Francisco Obieta ist in vier Tätigkeitsfeldern zuhause:

 

  • Erstens als Musiker, wenn er selbst Hand an den Kontrabass legt. Er war unter anderem 20 Jahre lang Solobassist des St.Galler Sinfonieorchesters.

 

  • Zweitens als Komponist, wenn er neue Musik komponiert. Und wie er selbst betont, nicht erfindet, sondern lediglich Neues aus Bestehendem zusammenfügt. Wunderbar zusammenfügt, meine ich. So zum Beispiel die Kinderoper «Lola, Trixi und die Sterne». Die Oper handelt von Lola, welche ein neues glitzerndes Kleid erhalten hat. Das Kleid funkelt wie Diamanten, fast wie die Sterne am Nachthimmel. Doch für Lola ist das Glitzern noch nicht ausreichend und sie will für ihr Kleid die Sterne vom Himmel klauen. Mithilfe der magischen Leiter gelingt es, den beiden Freundinnen die Sterne vom Himmel zu pflücken. Erst später merkt sie, dass die Sterne nur schön sind, wenn sie für alle da sind. Francisco Obieta hat aber auch so Kreatives wie «Pandora’s Box Y2K». Wer erinnert sich noch an das Computerproblem mit dem Jahrtausendwechsel? Geschrieben hat er es für Oboe, Kontrabass & Tape, was wohl zu gut deutsch Tonband heissen dürfte. Seine Produktivität und Kreativität kennt fast keine Grenzen. Ich habe in seinem CV nicht weniger als 48 Werke gefunden, die er komponiert hat!

 

  • Nach Musiker und Komponist ist er Drittens Dirigent. Er leitet unter anderem das das Orchester der Universität St.Gallen und weitere Orchester im St.Galler Rheintal und Vorarlberg.

 

  • Viertens ist als Musikpädagoge, er ist Professor am Vorarlberger Landeskonservatorium. Wenn er den Studenten sein Credo beibringt: «Input – Processing – Output», ganz einfach, wie er sagt. Damit das «Processing» automatisch abläuft und den gewünschten Output reflexartig erzeugt, muss man alle möglichen Tonleitern, Figuren, Harmonien, Rhythmen und was es sonst noch alles gibt, endlos oft geübt haben. Francisco Obieta hat die ganz besondere Gabe, Schüler und Studenten dazu zu motivieren. «Menschen bilden bedeutet nicht, ein Gefäß zu füllen, sondern ein Feuer zu entfachen.» Dieses Zitat von Aristophanes, des griechischen Komödiendichters, leitet ihn in seiner Arbeit als Musikpädagoge.

 

Für die «vierseitige» Vielseitigkeit und das Schaffen in einer Beständigkeit auf höchstem Niveau verleiht die St.Gallische Kulturstiftung den Anerkennungspreis 2019 an Francisco Obieta. Erlaube mir, lieber Francisco, noch eine persönliche Anmerkung: Du hättest obendrauf noch einen Preis für deine sympathische Bescheidenheit verdient.

http://obieta.ch