St. Gallische Kulturstiftung

2012, Frühjahr

Toggenburger Orchester und Ernst Hüberli

  • aus Wattwil
  • Anerkennungspreis über Fr. 15000.– für die Region Toggenburg
  • Sparte: Orchestermusik, Dirigent

Urkunde

Das Toggenburger Orchester und sein Dirigent Ernst Hüberli geniessen seit bald 40 Jahren weit über das Toggenburg hinaus breite Anerkennung für ihre jährlich an unterschiedlichsten Standorten präsentierten Konzerte. Unerschöpflicher Ideenreichtum, unermüdlicher Einsatz und unbegrenzte Überzeugungskraft des Dirigenten verbinden sich mit selbstloser, kreativer Arbeit, Begeisterungsfähigkeit und spontaner Einsatzfreude der Orchestermitglieder. So gelingt es dem Laienorchester, ausserhalb klassischer Konzerträume sich und andere für die Musik zu begeistern und Musik in der Bevölkerung populär zu machen. Die St.Gallische Kulturstiftung dankt den Orchestermitgliedern und dem Dirigenten Ernst Hüberli mit der Verleihung des Anerkennungspreises.

 

Laudatio

Lieber Ernst Hüberli, liebe Orchestermitglieder

Ich verrate Ihnen ein Erfolgsrezept: Man nehme etwa 40 begabte Laienmusiker, Streicher und Bläser aus einem grosszügig gedachten Grossraum Toggenburg. Bei ihrer Auswahl sollen nebst spielerischer Qualität auch die Begeisterungsfähigkeit, spontane Einsatzfreude, selbstlose und schöpferische Kreativität und Ideenreichtum absolute Priorität haben. Weitere Fähigkeiten wie das Führen von Transportfahrzeugen, Kenntnisse von Verkehrs- und Sicherheitsplanung oder Organisationstalent für Billettverkauf, Entsorgung und Restaurationsbetrieb sind erwünscht. Auch sind Kenntnisse im Bühnenbau und in der Montage von Beleuchtungskörpern unverzichtbar. Man schmiede dieses Orchester manchmal diktatorisch, mitunter ermunternd, mahnend, aufmunternd oder fordernd mit unermüdlichem Einsatz und unerschöpflichen Ideenreichtum zu einer Einheit und mache mit Konzertauftritten klassische und volkstümliche Musik in der Bevölkerung populär. So wieder geschehen im vergangenen Januar in Lichtensteig mit über 2000 begeisterten Besucher des Neujahrskonzertes.

 

Die Anfänge vor fast 40 Jahren waren bescheidener. 1973 hatten sich der Kantonsschule Wattwil musikbegeisterte Schüler und Schülerinnen aus Gymnasium und Seminar unter Leitung des Seminaristen Ernst Hüberli zu einer „Spielgemeinschaft“ unter dem Namen Junges Kammerorchester Wattwil zusammengefunden. Ihre Erwartungen an das Fach Musik gingen über das Büffeln von Theorie und das Schanzen für gute Noten hinaus. Sie wollen selber etwas machen und spielten die Mozart-Symphonie Köchelverzeichnis 182 ein. Mit Abriebbuchstaben hätten sie ihr erstes Programm gestaltet, seien aber musikalisch überfordert gewesen, erinnert sich Ernst Hüberli im Gespräch. Es blieb die Begeisterung. Das Orchester hielt auch nach dem Abschluss von Matura oder Lehrerpatent zusammen und fusionierte 1980 mit dem serbelnden Orchesterverein Wattwil zum Toggenburger Orchester. Der Zuwachs von erfahrenen Laienmusikern und Musikerinnen zum immateriellen Startkapital.

 

Der Dirigent Ernst Hüberli hatte sich nebst seiner Lehrertätigkeit zum Armee-Spielführer ausgebildet: musikalisch, disziplinarisch und führungstechnisch eine solide Basis für das künftige Tun. Weiterbildungen am Konservatorium in Luzern, in München und an den Wiener Meisterkursen gaben den letzten Schliff. Dirigent Ernst Hüberli bringt Ideen und Vorschläge, Präsident Josef Rütsche setzt sie mit einer aktiven Kommission um. Viele kreative Köpfe denken zusätzlich mit, viele Hände wirken, einer führt. Nach fast vierzig Jahren hat sich unter den Beteiligten eine „Orchesterfamilie“ mit sozialem Netz entwickelt. Aber das allein erklärt nicht den grossen Erfolg der Amateure. In diesem Orchester steckt noch mehr.

 

Eine Tonhalle, ein Opern- oder Schauspielhaus fehlen in den ländlichen Regionen des Kantons St.Gallen. Deshalb verfolgen Dirigent und Orchester seit Jahren das Ziel, die meist zwei jährlichen Konzertprogramme an ungewohnten, faszinierenden, manchmal auch provokativen Standorten durchzuführen. Der kreativen Phantasie waren keine Grenzen gesetzt. Ein Weihnachtskonzert mit Lesung der Weihnachtsgeschichte im Stall von – nicht Bethlehem, sondern Wildhaus – mit dem realen Blöcken eines Schafes oder dem Muhen einer Kuh, setzte stärkere Akzente. Zu Leopold Mozarts Schlittenfahrt gehört das Klingen der Glöckchen am Pferdegespann. Haydens Die Feuersbrunst passte ideal ins Feuerwehrdepot Wattwil und auch die aktive Umsetzung von Händels Feuerwehrmusik stand dort unter bester Begleitung der Pyrotechniker. Das Konzert „salto mortale“ fand sinnigerweise on einer Turnhalle statt, begleitet von einer grossartigen Schau des örtlichen Turnvereins. Offenbachs Orpheus in der Unterwelt musste mangels eines Bergwerks im Toggenburg und wegen zu engen Platzverhältnissen im prähistorischen Wildenmannlisloch in einem Tunnel der Umfahrungsstrasse Lichtensteig durchgeführt werden. Ausgediente Produktionshallen der Textilindustrie, die Bürstenfabrik, der Innenhof von Schloss Iberg, die übergrosse Eingangshalle wurden zur Tonhalle, begleitet von szenischen Gags und Humoresken zum Thema. Als weitere Komponente des Erfolgs hat sich die Verbindung von klassischer mit lüpfiger Volksmusik erwiesen. Im Konzert auf dem Säntis mit Willi Valotti oder kürzlich mit dem Jodelchor Bütschwil im „Hornviehkonzert“ in der Markthalle Wattwil wurde klassische Musik mit volkstümlichen Klängen durchmischt. Auch das ist kreatives Kulturschaffen!

http://toggenburgerorchester.ch