St. Gallische Kulturstiftung

2001, Frühjahr

Die Regierung

  • aus Ebnat-Kappel
  • Anerkennungspreis über Fr. 15000.– für die Region Toggenburg
  • Sparte: Musiktheater der heilpädagogischen Grossfamilie

Urkunde

Die Regierung erhält einen Anerkennungspreis der St. Gallischen Kulturstiftung für ihre wegweisenden und im wahrsten Sinne des Wortes Grenzen sprengenden Leistungen im Bereich von Musik, Theater, Kunst und Leben. Es gelingt ihnen, das Denken und Handeln in Kategorien von Norm und Abnorm, Gesund und Krank, Stark und Schwach zu unterwandern und nahtlose, fliessende Übergänge zu schaffen. Ihre reichhaltigen und komplexen Musik- und Theaterstücke erzählen von unserer Welt und ihren Tabus, von unerfüllten Sehnsüchten, unausgesprochenen Wünschen und von der Kraft des Visionären.

 

Laudatio von Ursula Badrutt Schoch, Stiftungsrätin

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Preis-Tragende, liebe Regierung!
Wenn ich in den folgenden wenigen Minuten die „Die Regierung“ aus Ebnat-Kappel  laudiere, so fresse ich als Vermittlerin im Bereich der Bildenden Kunst eigentlich etwas über den Zaun. Das Gras auf der andern Seite soll ja bekanntlich zwischendurch auch besser schmecken. Wer sich aber das vielfältige Schaffen von der Regierung zu Gemüte führt, wer Augen, Ohren, Herz und Lunge damit speist und bis in den kleinen Zehen hinunter dabei erschauert, dem wird klar, dass es hier keine Zäune gibt. Dass hier eben gerade nicht von Zäunen, sondern nur von niedergerissenen Zäunen gesprochen werden kann.

 

Begonnen hat die Geschichte der Regierung mit der Gründung einer heilpädagogischen Grossfamilie durch das Ehepaar Heinz und Irene Büchel-Rüdisüli im Toggenburg vor genau 20 Jahren. Die Musik bildete damals eine wichtige Stütze in der Gestaltung des Tagesablaufes. Hier lernten die Mitglieder der Regierung Ausdauer, aufeinander Hören und Reagieren, Rücksichtnehmen, sich selber durchsetzen und kommunizieren. Die Regierung, das sind zur Zeit und in alphabetischer Reihenfolge: Roland Altherr, der Klavier spielt und singt mit der Stimme von Tom Waits, der alles sammelt zum Thema Feuerwehr und der gerne die Rolle des Innen-Ministers und der Kritikerin spielt; Martin Baumer, der Sprachforscher, dem das Handorgelspielen angeboren scheint, der zum traditionellen Ländler Free-Jazz improvisiert und als Gesundheits-Minister und Närrin auftritt; Heinz Büchel ist Bassgeiger, Cellist, Heilpädagoge und Vater. Sein bevorzugtes Rollenspiel ist Berater und Kapitän. Hanspeter Dörig spielt Schlagzeug und Synthesizer, ist Spezialist für Kompostieren und den Mikrokosmos, spielt am liebsten den Landwirtschafts-Minister und den Pfarrer; Franco Scagnet, der sanfte Engel und Polizei-Minister, der professionelle Kunstfotografien macht und weiss, was Ordnung heisst. Seine Instrumente sind das Vibraphon, das Ballaphon und Gongs. Massimo Schillling ist Gitarrist und Gitarrist. Er spielt  den Aussen-Minister und den Schriftsteller; Hansueli Tischhauser ist ebenfalls Gitarrist, erst seit 1998 bei der Regierung, tritt gern als Entertainer auf und lebt auswärts.

 

Die Regierung hat keinen Stil, sie ist Entwicklung und Veränderung. Stetes Arbeiten gegen die Routine und die Enge, Experimentierfreudigkeit, sich öffnen gegenüber Neuem, gegenüber anderen künstlerischen Richtungen und anderen Menschen — das sind konstante Merkmale im Schaffen der Gruppe. Im Laufe der Jahre hat sich die Regierung, angespornt durch innere und äussere Erfolge und auch durch wachsende Ambitionen als Musik- und Theaterband professionalisiert. Ihre Auftritte sind regelmässig ausgebucht. Zur Zeit touren sie mit dem neusten Projekt „Lift“, an dem sie in den letzten Jahren gearbeitet haben, durch die Schweiz und darüber hinaus.

 

Die Regierung über zeugt mit ihren einzigartigen, aussergewöhnlichen, wegweisenden und im wahrsten Sinne des Wortes Grenzen sprengenden Leistungen im Bereich von Musik, Theater, Kunst und Leben. „Alles isch chrumm,“ singt es mitreissend in einem älteren Stück auf der CD „zämme“. „Alles isch chrumm“ kann gut als symbolträchtiges Motto der Regierung bezeichnet werden. Es gelingt den Regierungsmitgliedern, das Denken und Handeln in Kategorien von Norm und Abnorm, Gesund und Krank, Stark und Schwach oder eben Krumm und Gerade zu unterwandern und fliessende, nahtlose Übergänge zu schaffen. Ihre reichhaltigen und komplexen Musik- und Theaterstücke erzählen von unserer Welt und ihrem Krümmungen, von unerfüllten Sehnsüchten, unausgesprochenen Wünschen und von der Kraft des Visionären.

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