St. Gallische Kulturstiftung

2009, Herbst

Alexander Hahn

  • aus New York
  • Kunstpreis über Fr. 20000.– für die Region See-Gaster
  • Sparte: bildende Kunst

Urkunde

Als Reisender zwischen seinen Wohn- und Arbeitsstätten New York und Zürich entwirft Alexander Hahn Kartografien des menschlichen Bewusstseins und des Traumes, wo sich kollektive und individuelle Erinnerungen und Visionen vermischen, Zeiten und Räume sich überlagern und durchdringen. Wissenschaftliche und kulturhistorische Elemente, reale und fiktive – mittlerweile auch computergenerierte – Räume, dokumentarisch Objektives und radikal Subjektives verwebt Alexander Hahn zu Werken von großer Dichte und tranceartiger Faszination. Ein Leitmotiv ist das Licht, das die Außenwelt durch die Augen in den Körper dringen lässt, das als Sinnbild der Erkenntnis wie der geheimnisvollen Erinnerungstätigkeit des Gehirns, aber auch als wissenschaftliches und künstlerisches Thema sowie in seiner ästhetischen Nähe zum Medium Video erscheint. Seit den späten siebziger Jahren hat Alexander Hahn die jeweils neusten technischen Errungenschaften auf ihre künstlerischen Möglichkeiten erforscht und gilt als Pionier der Neuen Medien. Sein Schaffen umfasst Einkanalvideos, Videoinstallationen, interaktive Projektionen, wie auch zeichnerische und druckgrafische Arbeiten.

 

Laudatio, von Corinne Schatz, Stiftungsrätin

Mit Alexander Hahn ehren wir einen Künstler, der zu den Pionieren der Kunst mit Neuen Medien nicht nur in der Schweiz gehört. Von Anfang an, d.h. seit etwa 30 Jahren, lotete er die technischen und ästhetischen Grenzen von Video und Computer aus, und schuf und schafft ein unverwechselbares Werk von grosser Dichte und Präsenz, das nichts von der sich stets aus dem Kern seines Schaffens und seiner Mittel heraus erneuernden Energie verloren hat.

 

Dieses Schaffen ist von einer Breite und Tiefe, der man in einer kurzen Ansprache kaum gerecht werden kann. Seine vielseitigen Interessen führen den Künstler zu Studien in verschiedensten Wissensbereichen, von der Kunst- und Kulturgeschichte, Naturwissenschaften, Psychologie, Philosophie, Literatur, bis zur Aneignung und Beherrschung der sich mit rasender Geschwindigkeit entwickelnden Medien- und Computertechnik. All diese Forschungen und Kenntnisse fliessen in die Werke ein und verdichten sich darin zu faszinierenden, manchmal verzaubernden, manchmal verstörenden Bildwelten. Sein Werk war in den letzten paar Jahren dank mehrerer Ausstellungen in der Schweiz zu sehen: anfangs diesen Jahres Arbeiten auf Papier hier im KunstZeughaus (wie Lucie Grossmann schrieb, gehört Hahn zu den „Lang-Läufern“ der Sammlung Bosshard), 2005 ebenfalls in Rapperswil in einer dichten Ausstellung in der IG Halle und 2007 in einer wunderbaren Retrospektive im Kunstmuseum Solothurn.

 

Ein Blick auf Biografie und Werkentwicklung Alexander Hahn wurde 1954 hier in Rapperswil geboren. Nach der Ausbildung an der Kunstgewerbeschule in Zürich und Studienaufenthalten in New York, Rom, Warschau und Berlin, pendelt er heute, nebst vielen anderen Reisen, zwischen den Wohnorten New York und Zürich. Zunächst als Maler und Performancekünstler tätig experimentiert er Mitte der 70er Jahre erstmals mit einem Video-Equipment — er zog die Kamera über einen Linoleumboden — und realisierte die Verwandlungen, die das eigentlich banale Sujet in der Filmaufnahme, resp. auf dem Bildschirm erfuhr. Es schien eine Fahrt über eine zerklüftete Landschaft zu sein. Fasziniert von diesen Möglichkeiten der Simulation und Verfremdung begann Hahn mit ersten Videofilmen. Einer der frühesten Filme beinhaltet, bei aller Schlichtheit, bereits einiges von dem, was bis heute prägend geblieben ist. (Jona, 1977) Sie ist hier in Rapperswil/Jona entstanden: Die Kamera folgt aus nächster Nähe einer roten Glasmurmel, die einem Randstein entlang rollt und hüpft und schlingert. Mit schwindelerregendem Tempo fliegt der Asphalt an uns vorbei, bis die Kugel in einer Pfütze liegen und die Kamera stehen bleibt; und hier während ebenso langer Zeit verweilt, während einzelne Regentropfen die glatte Wasserfläche in leichtes Vibrieren versetzen. Damit begegnen wir bereits zwei prägenden Aspekten in Alexander Hahns Schaffen: Einer wilden Kamera-Reise folgt die stille Kontemplation.

 

Die folgenden Videos der frühen 80er Jahre sind geprägt von Einflüssen aus Science Fiction-Filmen. Daneben entstehen jedoch auch die skurrilen Cyborgs, die Hahn aus Teilen von Computerspielen und anderem zusammenbaut. Gegen Ende der 80er Jahre, z.B. in „Viewers of Optic? von 1987 oder Dirt Site von 1990 begegnen wir dann jener bis heute faszinierenden Verdichtung von Bild, Text, Musik und Geräuschen, sowie einer schwindelerregenden Schnitt- und Überblendungstechnik, die in fliessenden Übergängen von Fern- zu Nahsicht wechselt, von Flugaufnahmen einer Flusslandschaft zu Kamerafahrten nahe über dem schlammigen verwüsteten Boden einer scheinbar zerstörten Zivilisation. Die Texte — geheimnisvolle Erzählungen von Untergang, Chaos und Schöpfung, die Hahn selbst schreibt, und eine ebenso eindringliche Klangkulisse tragen erheblich zur fast mythischen Stimmung in diesen Arbeiten bei.

 

Waren diese frühen Videos eher narrativ aufgebaut, erscheinen sie seit den 90er Jahren zunehmend als ein traumartiges Mäandrieren zwischen mehreren Ebenen von Raum und Zeit. Wesentliche stilistische Mittel, die Hahns Handschrift prägen, sind die spezifische Nachbearbeitung der Aufnahmen und die Gestaltung der Übergänge zwischen verschiedenen Filmsequenzen: Die Bewegung der Kamera beschleunigt sich, das Objektiv zoomt auf einen bestimmten Punkt — oft eine Öffnung, z.B. ein Fenster, ein Loch — und man schlüpft wie durch ein Einstein’sches Wurmloch oder Carroll’s Alice in ein anderes Universum, in eine andere Dimension: Vom Innen- in den Aussenraum, von urbanen in natürliche Landschaften, von virtuellen in reale Räume, von barocken Architektur-Zeichnungen zu grossstädtischen Strassenschluchten, von Nah- zu Fernsicht, von der Frosch- zur Vogelperspektive. Zugleich scheint man durch ein fliessendes, sich ständig umwandelndes Raum-Zeitgefüge zu driften, in dem man bald die Orientierung verliert, und wo selbst wiederkehrende Orte und Filmsequenzen sich ständig verändern und sich Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in nicht zu definierende Dimensionen auflösen. Hahns Kamera scheint unlösbar mit dem Körper, resp. den Augen eines minutiös beobachtenden Menschen verwachsen zu sein. Sie schweift mit ihm hin und her, wechselt den Fokus, folgt einer Spur, einer Struktur, trifft auf ein Sujet, hält an, geht weiter. Unweigerlich wird man mitgerissen in diesen Bilderfluss. Manchmal erscheint es aber auch, als ob man im visualisierten „stream of conciousness“ oder in den Träumen eines anderen Menschen schwämme und in dessen Gedanken, Erinnerungen, Visionen, Ängsten und Hoffnungen unterwegs wäre.

 

Luminous Point
Beispielhaft lassen sich diese Aspekte in der interaktiven Arbeit „Luminous Point“ nachvollziehen, die vermutlich viele von Ihnen gesehen haben, wurde sie doch in den oben genannten Ausstellungen sowie 2006 im Heimspiel in St.Gallen gezeigt. Man bewegt sich darin von Raum zu Raum durch die digital rekonstruierte New Yorker Wohnung des Künstlers. Die Lichtpunkte, die der Arbeit den Titel geben, führen zu jenen Schlupflöchern — oft buchstäblich Löcher, wie Lavaboablauf, Türspion, oder Fenster —, durch die man in andere, real gefilmte Räume oder nach draussen gelangt. So streift der Blick beispielsweise über die Dächer New Yorks um sich dann plötzlich auf eine fette Fliege am Fenster zu fokussieren und danach abzuschweifen zu einer kleinen Wachsfigur, die mit Akupunkturnadeln gespickt ist. Zunächst angekündigt durch die Geräusche ist man plötzlich mitten in einer medizinischen Operation, gelangt aber nach einem Blick in die inneren Organe eines Menschen sogleich in die „Innereien“ eines Gebäudes und streift Leitungen und Rohren entlang, usw…

 

Nach diesen Ausflügen findet man sich jeweils unvermittelt im selben Raum wieder, wo man gestartet war, bemerkt jedoch, dass sich dieser in der Zwischenzeit verändert hat. Als ob man nicht nur eine halbe Minute, sondern Stunden oder gar Jahrzehnte unterwegs gewesen wäre. So geschehen z.B. buchstäbliche „Tapetenwechsel“ — eine Vielzahl kulturhistorischer Referenzen finden sich darin: als Muster erscheinen Wanddekorationen aus realen Gebäuden verschiedenster Epochen, z.B. die blauen Kacheln des babylonischen Ischtar Tores. Man weiss nicht, sind es die Erinnerungsräume einer einzelnen Person, im Sinne eines antiken Gedächtnispalastes, die man auf diesen Reisen durchwandert, oder ist es die Geschichte des Hauses selbst und begegnen wir den Spuren und Geistern früherer Bewohner.

 

Licht – Bernoulli
Der Titel „Luminous Point“, Lichtpunkt weist auf ein weiteres zentrales Thema in Hahns Schaffen. Schon in seinen frühen Zeichnungen findet man Zeugnisse einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Sehen, dem Licht und mit der Idee, dass die Welt mit dem Licht durch das Auge in den Körper eindringe. In der Installation „The Bernoulli Itinerary“ 1990 (im Kunstmuseum St.Gallen) hat Hahn dafür wohl die ausdrücklichste Form einer — fast möchte man sagen — „Ode“ an das Licht geschaffen. Sie wurde inspiriert vom Buch „Über das Leuchten des Meeres“ des Basler Naturforschers Christoph Bernoulli. Die Projektionen und der Bildschirm werden zu Bernoullis Meer, dessen Leuchten entspricht dem Leuchten des elektronischen Bildes, das immateriell und flüchtig bleibt und sich immer wieder aus elektronischen Impulsen neu aufbauen muss. In anderen installativen Arbeiten  wird dieses immaterielle Leuchten gesteigert durch die Entkleidung der Monitore aus ihren Gehäusen. Fragil und ephemer wirkt dann nicht nur das Flimmern der Bilder sondern auch der Apparat selbst, der die Bilder produziert und in den Raum hinaus sendet. Für Hahn gleicht diese fliessende Bildentstehung der Gedächtnisarbeit des Gehirns:

 

„Möglicherweise muss die Vorstellung, dass wir Schlaf brauchen, um den Körper für die physische und geistige Arbeit des nächsten Tages zu regenerieren, neu überdacht werden. Könnte es nicht sein, dass der Zweck unserer Tagesaktivitäten darin liegt, fehlende Stücke eines Puzzles zu suchen? Was uns wie nächtliche Ruhe vorkommt, könnte in Wirklichkeit die Traumarbeit am Rätsel unserer Existenz sein, genau wie der Videofilmer über zahllosen Stunden unbearbeiteten Materials brütet, um ein flüchtiges Kunstwerk zu schaffen.“

 

 

Im Schaffensprozess schöpft Alexander Hahn aus einem riesigen, über die Jahre aufgebauten Archiv von Bildern und Filmsequenzen — selbst gedrehten wie gesammelten. Er beschreibt die Nutzung dieses Archivs mit folgenden Worten: „Oft weiss ich nicht, wonach ich suche, obwohl ich irgendwie zu spüren scheine, was ich nicht suche, und intuitiv und mit mehr oder weniger Gewissheit erkenne, wann ich es gefunden habe — eine Art Fuzzy-Mustererkennung.“ (Unschärfe)

 

Die Inhalte von Alexander Hahns Arbeiten bewegen sich auf einem komplexen Feld, dessen Koordinaten sich von persönlichen über künstlerische und gesellschaftliche Fragen bis hin zu grundlegenden zivilisatorischen Dimensionen ausdehnen. Sie berichten von Wandlungsprozessen in Natur und Zivilisation, von den amorphen Tiefen des kollektiven Unbewussten genauso wie vom Bewusstseinsstrom eines einzelnen Menschen. Angesichts der Allgegenwart der Medien, wo sich die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Virtualität, Abbild und Konstruktion längst aufgehoben haben, führen Alexander Hahns Bildwelten voller Suggestion und Rätselhaftigkeit zu grundsätzlichen Fragen bezüglich Wahrnehmung und Wirklichkeitsbegriff.

 

So soll dieser Kulturpreis der St.Gallischen Kulturstiftung Auszeichnung sowie ein herzlicher Dank sein dafür, dass uns Alexander Hahns Werke mit ihrer Magie verführen und zugleich unsere Augen öffnen und den Blick schärfen für das, was uns heute — real oder medial — entgegenströmt.

http://www.alexanderhahn.com