St. Gallische Kulturstiftung

1992, Herbst

Abendmusik-Zyklus Oberglatt Flawil, Urs Göldi

  • aus Flawil
  • Anerkennungspreis über Fr. 10000.– für die Region Fürstenland
  • Sparte: 1957 gegründete Institution, welche die musikalische Kultur des unteren Toggenburgs und darüber hinaus in der ganzen Ostschweiz massgeblich prägt, belebt und bereichert

Urkunde

Der 1957 erstmals organisierte Abendmusik-Zyklus hat sich unter der zielstrebigen, kompetenten und einfallsreichen Leitung seines Gründers Etienne Krähenbühl innert kurzer Zeit zu einer Institution entwickelt, welche die musikalische Kultur des unteren Toggenburgs und darüber hinaus der ganzen Ostschweiz maßgeblich prägt, belebt und bereichert. Das Kammerorchester Flawil und der Ostschweizer Singkreis verleihen dem Zyklus seit Jahren gleichermassen Rückhalt wie eine ständig wachsende Zahl von begeisterten Zuhörern und freundlichen Gönnern. Seit 1977 vermag der Abendmusik-Zyklus Oberglatt-Flawil unter neuen musikalischen Leitern sich auch unter verschärften Konkurrenzbedingungen zu behaupten.

Die St.Gallische Kulturstiftung würdigt die idealistische Zielsetzung, den beispielhaften Einsatz sowie die wertvolle Bereicherung des kulturellen Angebotes mit einem Anerkennungspreis. Sie verbindet damit auch die Hoffnung auf eine gedeihliche Fortsetzung des bedeutenden Werkes.

 

Laudatio

Sehr verehrte Damen und Herren !
Als vor mehr als drei Jahrzehnten, am 3. Februar 1957, der junge Etienne Krähenbühl, Organist der evangelischen Kirchgemeinde Flawil, ein Konzert aufführte, tat er es sicher aus Liebe zur Musik, aber doch auch und insbesondere aus materiellen Gründen. Freilich nicht in der Absicht, sich zu bereichern, sondern um den Fond zur Beschaffung einer neuen Orgel in der Kirche Feld zu äufnen. Was als „Selbsthilfeaktion“ eines begabten jungen Kirchenmusikers begann, nahm eine ganz erstaunliche Entwicklung. Es blieb nicht bei diesem einen Versuch, Geld zu beschaffen. Im gleichen Jahr fanden im „Zyklus“ neun Konzerte statt. Sie waren, was Programm und Vortrag betraf, von so hervorragender Qualität, dass sich eine Fortsetzung aufdrängte.  Es folgten sich die Jahre, und es folgten sich die Konzerte, auch noch als längst schon neue Orgeln in der Kirche Feld und in Oberglatt standen und kein Orgelfond mehr zu speisen war. Der Zyklus hatte die materiellen Fesseln abgestreift und war selbständig geworden. Das kam freilich nicht so ganz von alleine und über Nacht. Ohne Saat gibt es keine Ernte, ohne Arbeit keinen Lohn. An Arbeit fehlte es nicht, aber auch nicht an freiwilligen, einsatzbereiten Helferinnen und Helfern. Der Begründer des musikalischen Kreises hatte es nämlich mit ansteckendem Idealismus und Optimismus verstanden, alt und jung für die verschiedensten Handreichungen einzuspannen und für das Ziel zu begeistern, gute Musik  gut vorzutragen.

 

Über alle Jahre hinweg haben eine grössere Zahl von Freunden und Sympathisanten uneigennützig Zeit und Kraft geopfert, den Zyklus mitzutragen, immer bestrebt, die zugewiesene Aufgabe so gut als möglich oder noch besser zu erfüllen. Von diesen Männern und Frauen der ersten Stunde sind einige noch immer dabei als treue Verehrer und unermüdliche Diener der Frau Musica. Ihr selbstloser Einsatz verdient Bewunderung und Anerkennung. Ein Blick auf die weit über 300 Veranstaltungen, die vorerst in der Kirche Feld und seit 1961 in der Kirche Oberglatt stattgefunden haben, offenbart eine erstaunliche Vielfalt. Eine Vielfalt, was die Programme betrifft, deren Spektrum von Orgelchorälen, A- Capella-Chören über Kammermusik bis zu Sinfoniekonzerten und grossen Messen mit Gesangssolisten und Orchester führt.

 

Eine Vielfalt auch hinsichtlich der Interpreten. Neben einheimischen Chören und Orchestern treten Solisten und Ensembles aus ganz Europa und aus Übersee auf. Von Anfang an sind Eigen- und Fremdproduktionen, dörfliches Musizieren und Interpretationen von Weltruf nicht als unvereinbare Gegensätze, sondern als Teile eines Ganzen betrachtet worden. 1962 erstmals und seither regelmässig tritt das Kammerorchester Flawil in den Zyklus-Veranstaltungen auf. Es ist gewissermassen zum Hausorchester geworden. Seit etwa 20 Jahren ist auch der Ostschweizer Singkreis mit schöner Regelmässigkeit im Zyklus-Programm anzutreffen. Die Vielfalt betrifft, über Programm und Vortrag hinaus, auch die Zuhörerschaft. Es gibt das Publikum der treuen Freundschaft, eine stattliche Anzahl regelmässiger Abonnenten, ergänzt durch eine grosszügige Gönnerschaft von über 200 Patronatsmitgliedern, die sich zu regelmässigen Zuwendungen verpflichten. Ihr Einzugsgebiet reicht vom Bodensee über das Appenzellerland bis nach Winterthur. Der Zyklus erfährt die Vielfalt des Publikums auch im Zustrom zu den Konzerten. Neben ganz seltenen Trockenzeiten mit Niedrigwasser und knapp 100 Zuhörern kommt es dann und wann auch zu eigentlichen Überschwemmungen, wenn mehr als 500 Besucher in die Kirche hereindrängen. Übers halbe Jahr verteilt finden so gut 1500 anspruchsvolle, begeisterte und verwöhnte Musikfreunde den Weg nach Oberglatt. Dabei haben sich Umstände und Voraussetzungen für einen lukrativen Konzertbetrieb gewandelt. War der Abendmusik- Zyklus Oberglatt in seinen Anfängen Alleinveranstalter in der weiteren Region, so hat im Laufe der letzten Jahre das Angebot an musikalischen Veranstaltungen ausserordentlich stark zugenommen. Gegenüber dieser wachsenden Konkurrenz zu bestehen, hat der Abendmusik-Zyklus grosse Anstrengungen unternommen. Marksteine dieser Überlebensübung sind die Vereinsgründung im Jahre 1971 und das Erscheinen der Zyklus-Zeitung zu Beginn der 80erJahre . Kompetent redigiert und gut aufgemacht, bildet sie eine wertvolle, nicht mehr wegzudenkende Begleitung des musikalischen Angebots. Dass es auch in diesem Bereich ohne finanzielle Hilfe nicht abgeht, ist eine schmerzlich empfundene Unabänderlichkeit. Dank wohlwollender Inserenten aus Flawiler Handel, Gewerbe und Industrie halten sich die Schmerzen immerhin in erträglichem Rahmen.

 

Über alle Jahre hinweg hat der Zyklus am Grundsatz festgehalten, dass was zu tun sei, aus Überzeugung und mit Gründlichkeit zu geschehen habe. Das galt auch nach dem Wegzug des Zyklus-Gründers, dessen grosses, schwieriges Erbe eines musikalischen Leiters Kantor Christoph Näf 1977 übernahm. Er verwaltete es, wie seine späteren Nachfolger, vorzüglich, und heute wuchert er mit den anvertrauten Pfunden wieder „nach Noten“. Neben der feinfühligen, konsequenten musikalischen Führung sind es wohl die ausserordentlich stabile Zusammensetzung des Zyklusvorstandes und die verschworene Gemeinschaft der freiwilligen Helferschar, welche die ungewöhnliche, aber hoch erfreuliche Kontinuität des Abendmusik-Zyklus bewirkt haben und auch für die Zukunft garantieren. Mit Genugtuung und Stolz, insbesondere aber mit grosser Freude und Dankbarkeit geniessen wir die Früchte, welche die gemeinsamen Anstrengungen des Abendmusik-Zyklus reifen lassen, und mit grosser Zuversicht blicken wir voraus, im Wissen um die sorgfältige Pflege des Bewährten und die frohmütige Offenheit gegenüber Neuem.

 

Die St.Gallische Kulturstiftung anerkennt den wertvollen Beitrag, den der Abendmusik-Zyklus Oberglatt-Flawil über lange Jahre hinweg zur Belebung und Bereicherung der Musikkultur über die Grenzen des unteren Toggenburgs hinaus geleistet hat, und verleiht hierfür einen Anerkennungspreis. Dieser ist mit 10’000 Franken dotiert